Gastbeitrag Lehrtipps

Wellbeing in digitalen Lernumgebungen

24. November 2022

Spätestens in der Corona-Pandemie wurde deutlich: Soziale Eingebundenheit ist ein wichtiges Element in der Hochschullehre. Wie diese auch in digitalen Lernumgebungen gelingen kann, zeigen Praxisbeispiele aus dem Projekt „Selbstlernphasen bei Vorlesungen virtuell und interaktiv begleiten (SelVi@ur)“.

Soziale Eingebundenheit ist ein menschliches Grundbedürfnis (Deci & Ryan, 1993). Vernetzt zu sein und sich dadurch sozial integriert zu fühlen – das ist für die meisten Menschen zentral für ihr Wohlbefinden. Diese soziale Eingebundenheit ist auch für den Lehr-Lernkontext von großer Bedeutung: Studierende sind motivierter, wenn sie sich als Teil einer Lerngemeinschaft erleben. Soziale Beziehungen fördern die intrinsische Motivation und wirken sich damit positiv auf das Lernverhalten aus (Pelikan et al., 2021).

Digital umgesetzte Lehrveranstaltungen stellen eine besondere Herausforderung für die soziale Einbindung von Studierenden dar. Da die direkte physische Präsenz fehlt, stehen Lehrende vor der Herausforderung, die Eingebundenheit ihrer Studierenden in diesem speziellen Kontext zu erreichen.

Soziale Präsenz, sozialer Raum und soziale Interaktion

Insbesondere drei Aspekte spielen bei der Förderung sozialer Einbindung eine zentrale Rolle (Weidlich & Bastiaens, 2019): soziale Präsenz, sozialer Raum und soziale Interaktion. 

  1. Als sozial präsent wird das Gegenüber in der Kommunikation wahrgenommen, wenn es als „real“ empfunden wird, auch ohne tatsächliche physische Präsenz. 
  2. Sozialer Raum bezieht sich darauf, dass die Studierenden ein Gemeinschaftsgefühl wahrnehmen, was mit einem günstigen Lernklima in Verbindung gebracht wird. 
  3. Soziale Interaktion ist der Prozess der Kommunikation und des Austauschs von Nachrichten in der Lernumgebung. 

Alle drei Aspekte können mit relativ geringem Aufwand auch in digitalen Lernumgebungen mit Hilfe der gängigen Learning Management Systeme (wie z.B. Moodle) realisiert werden. Wie dies gelingen kann, zeigen vier Beispiele, die von Lehrenden der Universität Regensburg im Rahmen des Projekts “Selbstlernphasen bei Vorlesungen virtuell und interaktiv begleiten (SelVi@ur)” erarbeitet wurden.

Meet your Lecturer

Gerade im digitalen Kontext werden Dozierende oft als wenig präsent wahrgenommen. Umso wichtiger ist es, vor allem hier den Studierenden das Gefühl zu geben, auch als Person nahbar zu sein. Angaben zur persönlichen Erreichbarkeit wie z. B. Kontaktdaten und Sprechzeiten können ohne Aufwand in der digitalen Lernumgebung hinterlegt werden und sind damit jederzeit greifbar. 
Nahbar erscheinen Dozierende, wenn sie darüber hinaus auch Informationen zu sich selbst oder dem persönlichen Bezug zum Thema preisgeben. Dies kann z.B. über einen Podcast oder ein kurzes Vorstellungsvideo erfolgen.

Podcast

Podcasts wurden in den letzten Jahren immer beliebter. Man benötigt zur Produktion lediglich ein Smartphone. Die fertige Audiodatei wird dann einfach in der Lernumgebung hinterlegt. Mit Hilfe der eigenen Stimme können Lehrende auf sehr individuelle Weise ihren beruflichen Weg, das eigene Interesse am Thema der Lehrveranstaltung und persönliche Informationen vermitteln. 

Prof.in Dr. Ute Leimgruber stellt sich im Interview mit der SelVi-Projektmitarbeiterin Sr. Philippa Haase den Studierenden ihrer Vorlesung „Einführung in die Pastoraltheologie“ in einem Podcast vor.

Lehrblick - Lehrportraits
Lehrblick – Lehrportraits
Vorstellung Prof.in Dr. Ute Leimgruber
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An dem Beispiel lässt sich nachvollziehen, dass ein Podcast sehr gut geeignet ist, über eine Begrüßung hinaus die eigene Begeisterung für das Fach auf lebendige Weise hörbar werden zu lassen. Die Studierenden können sich damit einen ganz eigenen Eindruck über das Profil der Dozentin verschaffen.

Video

Auch ein Begrüßungsvideo stellt eine lebendige Form dar, um sich im digitalen Lehrkontext als Dozierende:r den Studierenden vorzustellen. Der Vorteil besteht darin, dass ein Video sowohl Stimme als auch Mimik und Gestik der Person transportiert. Damit werden Lehrende in ihrer „Ganzheit“ erlebbar und erscheinen als Person stärker sozial präsent.

Prof. Dr. Alexander Tischbirek stellt sich den Studierenden seiner Vorlesung „Verwaltungsrecht I“ in Form eines kurzen Videos persönlich vor.

Das Video entstand in Zusammenarbeit mit der SelVi-Projektmitarbeiterin Jana Simmel. Beide haben sich bewusst dazu entschieden, die Aufnahme vor dem Gebäude der Fakultät zu drehen, um auch virtuell einen Bezug zum realen Lernraum herzustellen.
Das Begrüßungsvideo könnte noch ergänzt werden, um z.B. die Teammitglieder (wie wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, studentische Hilfskräfte, Sekretariat usw.) vorzustellen.

Soziale Interaktion zwischen Studierenden ermöglichen

Wichtig für die soziale Einbindung der Studierenden ist neben der Vorstellung des/der Dozierenden auch der Kontakt und die Interaktion zwischen den Studierenden selbst. Dozierende können dies auf unterschiedliche Weise fördern.

Looking for Learning Group?

Während einer Veranstaltung kann die Interaktion zwischen Studierenden durch Aufgaben, die in Gruppenarbeit zu erledigen sind, gefördert werden (z. B. eine Präsentation oder Prüfungsfragen erstellen, Übungen bearbeiten usw.). Die gängigen Learning Management Systeme bieten diverse Tools, damit die Studierenden sich selbständig in Arbeitsgruppen organisieren können. 

Im Rahmen der Vorlesung „Physik I für Chemie und LA mit Unterrichtsfach Physik“ wird in dem vorlesungsbegleitenden Onlinekurs für die Organisation von Lerngruppen die Aktivität “Abstimmung”  genutzt (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Screenshot der Moodle-Aktivität „Abstimmung“ zur Bildung von Lerngruppen

Der SelVi-Projektmitarbeiter Jonas Neumayer hat das Tool so arrangiert, dass die Studierenden sich selbstständig über Moodle in Lerngruppen zusammenfinden. Dabei erlaubt das Formular auch die Entscheidung, in welcher Form das Treffen gewünscht wird (analog, digital, egal).

Peer Feedback

Die explizite Aufforderung an die Studierenden, sich gegenseitig Feedback zu geben, trägt ebenfalls zu sozialer Interaktion bei. Durch Peer Feedback können Lernprozesse und soziale Interaktion sehr gut verknüpft werden. Das folgende Beispiel stammt aus der Lehrveranstaltung „Physik für Biologen und Biochemiker“ und wurde vom SelVi-Projektmitarbeiter Philip Lechner entwickelt.

Zu Beginn des Semesters melden sich die Studierenden freiwillig für Peer Feedback-Gruppen. 
Um den Lernprozess positiv zu beeinflussen, muss das Feedback entsprechend gut gestaltet sein. Deshalb wird zu Beginn geklärt, was gutes Feedback ausmacht. Zu diesem Zweck erhalten die Studierenden einen One Pager “Feedback”, der neben grundlegenden Informationen auch eine Checkliste für gutes Feedback enthält.

Über ein in den Moodle-Kurs eingebundenes Forum geben sich die Studierenden dann auf eine Aufgabe der wöchentlichen Übungssheets gegenseitig Feedback. Auf das Forum haben nur die jeweiligen Gruppenmitglieder Zugriff. Der Projektmitarbeiter unterstützt die Studierenden kontinuierlich bei der Formulierung von Leitfragen für das Peer Feedback.

Lehrende haben bei der Gestaltung digitaler Lernumgebungen zahlreiche Möglichkeiten, die soziale Einbindung ihrer Studierenden zu unterstützen, damit diese sich mit ihren Dozierenden und ihren Kommiliton:innen verbunden fühlen. 

Welche Möglichkeiten, die soziale Eingebundenheit Ihrer Studierenden in digitalen Lernumgebungen zu fördern, haben Sie bereits ausprobiert? Können Sie einfach zu nutzende Tools empfehlen? Teilen Sie Ihre Erfahrungen gerne über Twitter, Facebook oder gleich direkt in der Kommentarfunktion.

Das Projekt “Selbstlernphasen bei Vorlesungen virtuell und interaktiv begleiten (SelVi@ur)” wird gefördert durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre.


Literatur

Deci, E., & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223–238.

Pelikan, E. R., Korlat, S., Reiter, J., Holzer, J. Mayerhofer, M., Schober, B., Spiel, C., Hamzallari, O., Uka, A., Chen, J., Välimäki, M., Puharić, Z., Anusionwu, K. E., Okocha, A. N., Zabrodskaja, A., Salmela-Aro, K., Käser, U., Schultze-Krumbholz, A., Wachs, S., … Lüftenegger, M. (2021). Distance learning in higher education during COVID-19: The role of basic psychological needs and intrinsic motivation for persistence and procrastination–a multi-country study. PLoS ONE 16(10), Article e0257346. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0257346

Weidlich, J., & Bastiaens, T. J. (2019). Designing sociable online learning environments and enhancing social presence: An affordance enrichment approach. Computers & Education, 142, Article 103622. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2019.103622


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Puppe, L. & Brandl, M. (2022, 24. November). Wellbeing in digitalen Lernumgebungen. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org//10.5283/ZHW.20221124.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Linda Puppe

Dr. Linda Puppe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern innovative Lehre und Motivation. Zudem interessiert sie sich für Entwicklungen im Bereich digitale Lernumgebungen.

Michael Brandl

Dr. Michael Brandl ist Pädagoge, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Gruber, Leitung Bildungs- und Projektmanagement bei verschiedenen Unternehmen, seit September 2021 beim ZHW. Im Projekt SelVi@ur ist er verantwortlich für die organisatorische Koordinierung.

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