Lehrkonzepte

Selbstlernphasen – ein wichtiger Bestandteil JEDER Lehrveranstaltung

9. September 2021

In den letzten Semestern musste die universitäre Lehre größtenteils auf digitale Formate umgestellt werden. Dabei ist besonders die Selbstlernphase von Lehrveranstaltungen in den Fokus gerückt. Dozierende legten nun genau fest, wie die Studierenden die Lerninhalte online eigenständig bearbeiten sollen, um sich eventuell auf eine nachfolgende virtuelle synchrone Sitzung vorzubereiten. Ein Teil der Studierenden hatte dadurch den Eindruck, dass die Stofffülle und der Zeitaufwand deutlich höher gewesen seien (Hawelka & Hilbert, 2020) als in früheren Semestern. Das war allerdings nicht der Fall. Bereits vor Corona hätten sich Studierende in eigenständigen Selbstlernphasen auf Präsenzsitzungen vorbereiten oder diese Sitzungen zu Hause nachbereiten sollen. Jedoch konnten die Studierende meist selbst entscheiden, ob, wann und wie sie zu Hause für eine Lehrveranstaltung lernen. In den Corona-Semestern verlangten die Dozierenden nun eine eigenständige strukturierte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff, in dem sie ganz konkrete Aufgaben in Online-Lernumgebungen stellten und eine Abgabe bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einforderten. 

Indem nun die Dozierenden die Gestaltung der studentischen Selbstlernphase durch Online-Lernumgebungen übernahmen, steuerten sie teilweise den Lernprozess ihrer Studierenden erheblich. Wie kann diese Steuerung erfolgreich gestaltet und mit einer Präsenzsitzung verknüpft werden?

Ohne Unterstützung sind die Qualität und damit die Effektivität von Selbstlernphasen eher gering. Das Lernverhalten vieler Studierender entspricht nicht dem „Idealbild“ eines selbstgesteuerten Lernenden (Hübner, Nückles & Renkl, 2007). Das kann sich allerdings negativ auf den Gesamtverlauf einer Lehrveranstaltung und somit auf den studentischen Lernerfolg auswirken. Sind Studierende auf eine Präsenzsitzung nicht vorbereitet, kann auf Vorwissen nicht aufgebaut werden. Oftmals muss daher nötiges Grundwissen erst noch vermittelt werden, sodass dadurch die Zeit in der Präsenzsitzung nicht ausreichend für die Tiefenverarbeitung oder Anwendung von Wissen genutzt wird. Wenn Studierende Präsenzsitzungen nicht ausreichend nachbereiten, bleiben Wissenslücken wiederum oftmals unentdeckt. Dadurch drohen Studierende in ihrem Lernprozess zurückzufallen und holen nur schwer wieder auf (Hiltmann, Hutmacher & Hawelka, 2019). Leider reicht es nicht aus, dass Dozierende ihre Studierenden auf die Bedeutung von Selbstlernphasen hinweisen. Vielmehr müssen studentische Selbstlernphasen häufig durch passende Lernumgebungen und entsprechendes Dozentenverhalten (Wrana, 2009) angeleitet werden.

Präsenzsitzung und Selbstlernphase miteinander verknüpfen

Dozierenden müssen bei der Planung und Gestaltung einer Lehrveranstaltung Präsenzsitzungen mit den Selbstlernphasen verknüpfen und inhaltlich wie methodisch aufeinander abstimmen. Beispielsweise sollten Inhalte, die bereits in einer Selbstlernphase verarbeitet wurden, in Präsenz nicht vollständig wiederholt werden. Die Präsenzsitzung sollte höchstens Missverständnisse oder Fehler ansprechen, die in der Selbstlernphase gemacht wurden. Entscheidend ist, dass die Präsenzsitzung auf die in der Selbstlernphase erworbenen Kompetenzen und Wissensstände aufbaut.
Ebenso sollten Inhalte, die in einer Präsenzsitzung vermittelt wurden, in einer nachfolgenden Selbstlernphase aktiv verarbeitet und nicht einfach nur wiederholt werden. 

Um festzulegen, welche Inhalte in der Präsenzsitzung und welche in der Selbstlernphase vermittelt werden, sollten Dozierende folgende Fragen für sich beantworten.

Abbildung 1: Reflexionsfragen zur Verknüpfung von Präsenzsitzung und Selbstlernphase einer Lehrveranstaltung

Wenn die Fragen aus Abbildung 1 geklärt sind, kann mit der Planung der einzelnen Sitzungen und den entsprechenden Selbstlernphasen begonnen werden. Dafür muss natürlich für beide Aspekte bestimmt werden, wann welche Lerninhalte wie präsentiert und durch welche Methoden aktiv verarbeitet werden können.

Unterstützung des studentischen Lernprozesses in Selbstlernphasen

In den Selbstlernphasen müssen Studierende die kognitiven, metakognitiven und motivationalen Aspekte ihres Lernprozesses regulieren (Jansen et al, 2020). Das bedeutet, sie müssen regelmäßig ihren Lernprozess initiieren, aufrechterhalten und je nach Lerninhalt und Aufgabenstellung adäquate Lernstrategien erfolgreich anwenden. Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt die verschiedenen Regulationsprozesse, die Studierende beim selbstgesteuerten Lernen durchlaufen. Zudem zeigt die Abbildung erste Hinweise, wie Dozierende bei den Prozessen ihre Studierenden unterstützen können und wie diese Unterstützung praktisch umgesetzt werden kann.


Abbildung 2: Eigene Darstellung des Dreischichten-Modells des selbstregulierten Lernens nach Boekaerts (1999) in Kombination mit Unterstützungshinweisen durch Dozierende

Indem Dozierende eine entsprechende Lernumgebung mit Aufgaben, Betreuungsangebot, Deadlines, etc. für die Selbstlernphasen aufbauen, übernehmen sie teilweise die Steuerung des studentischen Lernprozesses und entlasten dadurch die Studierenden.

Dabei sollte wie folgt vorgegangen werden:

1. Unterstützung der Organisation, der Elaboration oder der Wiederholung von Lerninhalten

Um die kognitive Verarbeitung von Lerninputs zu ermöglichen, müssen die Studierenden sich aktiv mit den Lerninhalten auseinandersetzen. Dafür benötigen sie konkrete Arbeitsaufträge und Aufgaben. Die Aufgaben müssen klare Informationen und Aufforderungen beinhalten, wie die Studierenden mit den Lerninhalten umgehen sollen:

  • Ob sie die Inhalte nach einem bestimmten Schema organisieren und strukturieren sollen.
  • Ob sie die Inhalte in einer bestimmten Art und Weise wiederholen sollen.
  • Ob sie die Inhalte mit bereits bekanntem Wissen in Zusammenhang bringen oder Querverbindungen zwischen der Praxis und den theoretischen Inhalten herstellen sollen.
  • Wichtig ist dabei natürlich auch, dass notwendige Materialien zur Verfügung gestellt werden oder zugänglich sind.

2. Unterstützung der Planung, Überwachung und Kontrolle des Lernverhaltens

Je nach Aufgabe sollte auch darüber nachgedacht werden, wie die Studierenden bei der Aufgabenbearbeitung von den Dozierenden begleitet und betreut werden müssen. Bei manchen komplexen Aufgaben sollten Dozierende auch außerhalb der Präsenzsitzungen ansprechbar sein (z.B. in Sprechstunden), um Hilfestellung geben zu können. Deshalb sollten Möglichkeiten, Fragen zu stellen (z.B. bei digitaler Lehre auch über ein Forum), oder zusätzliche Besprechungen eingeplant werden. 

Um die Studierenden beim Überprüfen des eigenen Lernfortschritts zu unterstützen, sollten Dozierende regelmäßig auf die gestellten Aufgabenbearbeitungen Feedback geben (siehe dazu Blogbeitrag “Mehr als gut gemacht – 7 Prinzipien guten Feedbacks“). Ideal wäre ein individuelles Feedback, allerdings kann auch auf allgemeinere Methoden, wie eine Zusammenfassung der häufigsten Missverständnisse oder die Ausgabe einer Musterlösung zurückgegriffen werden. Die Methode des Peer-Feedbacks kann ebenfalls eingesetzt werden, sollte eine Rückmeldung der Dozierenden jedoch nicht ersetzen.

3. Unterstützung der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernhandlungen

Ein wichtiger Einflussfaktor auf den Erfolg von studentischen Selbstlernphasen ist die Lernmotivation. Damit das Lernen in diesen Phasen erfolgreich stattfinden kann, müssen Studierende das Lernangebot annehmen. Das bedeutet, sie müssen sich auf die Aufgaben erstmal einlassen und sie erfolgreich bearbeiten wollen. Daher sollten Lernumgebungen Einflussfaktoren von Lernmotivation (siehe Blogbeitrag “Motiviert lernen – wie kann ich meine Studierenden dabei unterstützen?”) berücksichtigen und entsprechend dieser Faktoren von Dozierenden konzipiert und gestaltet werden. 

Neben diesen Einflussfaktoren ist eine zeitliche Taktung durch Deadlines, wann was wie abgegeben werden muss, in Selbstlernphasen unumgänglich. Dadurch ermöglichen Dozierende den Studierenden ein regelmäßiges Lernen und eine zeitlich passende Vor- und Nachbereitung der Präsenzsitzungen. 

Die studentische Bereitschaft, die Selbstlernphasen mit ihren gestellten Aufgaben erfolgreich zu absolvieren, wird auch davon beeinflusst, ob sie einen Mehrwert darin sehen. Das bedeutet, den Studierenden muss klar sein, warum eine derartige Vor- und Nachbereitung der Präsenzsitzungen sinnvoll ist. Das können Dozierende durch die klare Kommunikation und Darstellung der Lernziele einer Lehrveranstaltung erreichen. Eine gute Methode dafür ist der Advance Organizer (siehe Blogbeitrag “A(dvance) & O(rganizer) für einen guten Überblick”).

Die Gestaltung und die Unterstützung der Selbstlernphasen durch Dozierende sollte sich an diesen drei Prozessen orientieren. Wie dann jedoch die konkrete praktische Umsetzung aussieht, muss für jede Lehrveranstaltung einzeln, abhängig von Studierendengruppe, Lerninhalt und Rahmenbedingungen, bestimmt werden. Die Gestaltung, Organisation und Durchführung einer Selbstlernphase kann durch digitale Lernumgebungen erleichtert werden. Viele der dort verwendeten Tools bieten eine Reihe an Möglichkeiten, Lerninhalte adäquat und zeitnah zu präsentieren und durch verschiedenste Aktivitäten zu verarbeiten.

Vielleicht haben Sie bereits erste Erfahrungen damit gemacht. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns darüber über die Kommentarfunktion berichten. Möglicherweise haben Sie auch noch den einen oder anderen Tipp, durch den Ihre Selbstlernphasen immer besonders gut funktionieren. Teilen Sie ihn gerne mit anderen Lehrenden über unsere Kommentarfunktion.


Literatur

Boekaerts, M. (1999). Self-Regulated Learning: where we are today. International Journal of Educational Research, 31, 445–457.DOI: 10.1016/S0883-0355(99)00014-2

Hawelka, B. & Hilbert, S. (2020). Lehre im Corona-Semester. Ergebnisse einer Studierendenbefragung. Beitrag zum Tag der digitalen Lehre, Regensburg. DOI: 10.13140/RG.2.2.13432.98565

Hiltmann, S., Hutmacher, F., & Hawelka, B. (2019). Selbstlernphasen Studierender unterstützen. In D. Jahn, A. Kenner, D. Kergel & B. Heidkamp-Kergel (Hrsg.), Kritische Hochschullehre. Impulse für eine innovative Lehr-Lernkultur (S. 305-322). Wiesbaden: Springer VS. DOI: 10.1007/978-3-658-25740-8_16

Hübner, S., Nückles, M., & Renkl, A. (2007). Lerntagebücher als Medium des selbstgesteuerten Lernens – Wie viel instruktionale Unterstützung ist sinnvoll? Empirische Pädagogik, 21, 119-137.

Jansen, R. S., van Leeuwen, A., Janssen, J., Conijn, R. & Kester, L. (2020). Supporting learners‘ selfregulated learning in Massive Open Online Courses. Computers & Education, 146. DOI: 10.1016/j.compedu.2019.103771

Wrana, D. (2009). Zur Organisationsform selbstgesteuerter Lernprozesse. Beiträge zur Lehrerbildung, 27, 163-174. DOI: 10.25656/01:13717


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Rottmeier, S. (2021, 9. September). Selbstlernphasen – ein wichtiger Bestandteil JEDER Lehrveranstaltung. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20210909.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Stephanie Rottmeier
Dr. Stephanie Rottmeier is a research assistant at the Centre for University and Academic Teaching (ZHW) at the University of Regensburg. She supports and advises lecturers with regard to the didactic design of lectures and seminars. Her focus here is on the themes of self-regulated learning, particularly the digital organisation of self-learning phases, and students’ motivation to learn.

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