Lehrkonzepte

Effektive Lernstrategien – und wie sie gefördert werden können

14. März 2024
Titelgrafik Effektive Lernstrategien

Markieren der wichtigsten Begriffe, Zusammenfassen der Hauptaussagen eines Lernmaterials, Auswendiglernen von Textpassagen – diese (und andere) Lernstrategien verwenden Studierende häufig, um sich mit Lernstoff auseinanderzusetzen. Aber sind gerade diese Strategien effektiv und unterstützen langfristigen Lernerfolg? Und wie können effektive Strategien gefördert werden?

Für akademischen Lernerfolg ist der Gebrauch von effektiven Strategien entscheidend (Biwer, oude Egbrink, Aalten & de Bruin, 2020). Effektiv sind Lernstrategien dann, wenn sie über das Potenzial verfügen, das Lernen langfristig und in verschiedenen Kontexten zu verbessern. In einem Review untersuchten Dunlosky et al. (2013) zehn Lernstrategien, die Studierende häufig verwenden und ordneten sie nach ihrer Effektivität. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse im Überblick zusammen.

Übersicht über 10 häufige Lernstrategien
Tabelle 1: Übersicht über 10 häufig verwendete Lernstrategien, geordnet nach ihrer Effektivität für langfristiges Lernen nach Dunlosky et al., 2013

Effektive Lernstrategien

Für langfristiges Lernen scheinen Lernstrategien wie beispielsweise Retrieval Practice oder verteiltes Lernen am effektivsten zu sein. Bei Retrieval Practice, wie z.B. Üben mit alten Klausuren oder Quizfragen, müssen Studierende aktiv Wissen abrufen und anwenden, was das Speichern im Langzeitgedächtnis erleichtert (Biwer et al., 2020).
Bei der Strategie des verteilten Lernens geht es eher um das Aufstellen eines Lernplans als um eine bestimmte Art zu lernen. Das Lernen wird zeitlich verteilt und der Lernstoff zu verschiedenen Lernzeiten wiederholt.

Strategien mit moderatem Effekt

Elaborationsstrategien wie Selbstbefragung und Selbsterklärung fordern ebenfalls eine aktive Verarbeitung des Lernstoffes. Bei Selbstbefragung unterziehen sich die Studierenden einer ausführlichen Befragung und beantworten Fragen zum „Warum”. Bei der Strategie Selbsterklärung erklären sich Studierende den Lernstoff selbst und versuchen ihn mit bereits bekanntem Wissen zu verknüpfen (Biwer et al., 2020). Die Strategie des verknüpften Übens bezieht sich auf den Wechsel zwischen verschiedenen Themen in einer einzigen Lernsitzung.

Diese effektiven Strategien haben eines gemeinsam: Sie erfordern Engagement und Anstrengungsbereitschaft. Studierende kennen teilweise diese Strategien nicht oder möchten sie nicht anwenden (Biwer et al., 2020).

Strategien mit geringem Effekt

Strategien wie Markieren oder Hervorheben verlangen keine direkte Verarbeitung von neuem Wissen, sondern organisieren den Wissensinhalt. Die Organisation der neuen Informationen ist der erste Schritt zu neuen Lerninhalten einen Zugang zu finden.

Die aktive Auseinandersetzung und Einbettung neuer Informationen in bestehende Wissensstrukturen fehlen noch. Passiert dies nicht, wird das Wissen unzureichend verarbeitet und der Lernfortschritt ist nur mäßig. Studierende haben aber trotzdem das Gefühl, tätig gewesen zu sein und “gelernt” zu haben. Die Folgen sind oftmals Selbstüberschätzung und Überbewertung des eigenen Kompetenzniveaus, was sich negativ auf den Lernerfolg auswirken kann. Führt die Anwendung solcher Lernstrategien zu positiven, jedoch kurzfristigen Leistungsergebnissen, lassen sich Studierende schnell täuschen und sehen diese Strategien als vermeintlich effektiv an. Das ist ein Problem für erfolgreich langfristiges Lernen (Biwer et al., 2020). 

Biwer et al. (2020) fordern daher, dass Studierende auf wirksame Lernstrategien, die langfristiges Lernen und Behalten ermöglichen, aufmerksam gemacht werden. Außerdem sollen sie mit der Überschätzung ihres Kompetenzniveaus nach der Anwendung von “einfachen”, aber ineffektiven Lernstrategien konfrontiert werden. Das kann durch die Vermittlung von Wissen über Lernstrategien erreicht werden. Studierende müssen wissen, wann sie welche Lernstrategien im Selbststudium konkret anwenden können und dann diese Strategien auch tatsächlich einsetzen.

Study Smart

Daher entwickelten Biwer et al. (2020) das Interventionsprogramm Study Smart, das folgende Ziele verfolgt: 

  • Effektive Lernstrategien bewusst machen, 
  • Reflexion über solche Strategien ermöglichen und
  • Anwendung dieser Strategien fördern. 

Ablauf der Intervention

Das Interventionsprogramm besteht aus 3 zweistündigen Sitzungen zu den Themen Bewusstsein, Reflexion und Anwendung effektiver Lernstrategien. Die nachfolgende Abbildung 1 zeigt den zeitlichen Ablauf.

Interventionsprogramm Study Smart
Abbildung 1: Übersicht über das Study Smart Interventionsprogramm in Anlehnung an Biwer et al., 2020

Das Interventionsprogramm ist für Studierende konzipiert und findet über einen Zeitraum von sechs Wochen statt. Alle zwei Wochen werden inhaltliche Sitzungen abgehalten.

Sensibilisierung für effektive Lernstrategien

In der ersten Sitzung werden die Studierenden zunächst auf die Wirksamkeit verschiedener Lernstrategien aufmerksam gemacht. Es werden zehn Lernstrategien und deren Anwendung demonstriert. Danach schätzen die Studierenden deren Wirksamkeit ein und erzählen, ob und wann sie selbst diese Strategien angewendet haben. Daraufhin erläutern die Moderator:innen, wie aufwändig die Anwendung einer Strategie ist und wie sie eingesetzt werden kann. Außerdem werden die Studierenden auf die Bedeutung des regelmäßigen Übens, des notwendigen Engagements und der Investition von Zeit in das Lernen hingewiesen. In einer schriftlichen Reflexionsübung sollen die Studierenden den Unterschied zwischen gefühlten Lernfortschritt (Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeit) und tatsächlichem Lernen und Kompetenzzuwachs erkennen. Anschließend weisen die Moderator:innen die Studierenden an, diese Erfahrung mit der Herausforderung, bei der Anwendung effektiver Lernstrategien, in Verbindung zu bringen. Die Sitzung endet mit einer Übung, in der die Studierenden Fragen darüber beantworten, wann welche Lernstrategie sinnvoll ist und warum. Die Antworten werden anschließend in der Gruppe diskutiert und besprochen. Dadurch sollen die Inhalte der Sitzung wiederholt und verinnerlicht werden. Als Hausaufgabe bis zur nächsten Sitzung führen die Studierenden ein Lerntagebuch über ihr Lernverhalten und reflektieren so ihre eigenen Lernstrategien.

Reflexion effektiver Lernstrategien

In der zweiten Sitzung wird die Effektivität von Lernstrategien noch stärker reflektiert und die studentische Lernmotivation einbezogen. Zu Beginn präsentieren die Studierenden ihre Lerntagebücher und stellen die Lernstrategien vor, die sie in den letzten Wochen angewendet haben. Anschließend füllen sie Fragebögen zu ihren Lernstrategien und zu ihrer akademischen Zielorientierung aus. Das soll die Studierenden anregen zu überlegen, welche Ziele sie mit ihrem Studium erreichen wollen. Die Studierenden werten ihre Fragebögen selbst aus und tauschen sich mit ihren Kommiliton:innen über ihre Lernmotivation aus. Abschließend formulieren die Studierenden die Intention, wann und wie sie effektive Lernstrategien in ihrem Selbststudium einsetzen wollen.

Anwendung effektiver Lernstrategien

In der dritten und letzten Sitzung sollen Studierende effektive Lernstrategien nun anwenden und dadurch den Unterschied zwischen ineffektiven und effektiven Lernstrategien selbst erleben. Die Studierenden wenden in zwei Gruppen anhand von wissenschaftlichen Artikeln einmal ineffektive Strategien (Hervorheben) und einmal effektive Lernstrategie (Retrieval Practice) an. Darauf folgt ein kurzer Test, in dem Fragen zu den Artikeln beantwortet werden müssen. Die Studierenden schätzen ihre Leistung mit Hilfe eines Antwortbogens ein. Das Ziel der Übung ist es, die Unterschiede im Engagement und in der Anstrengungsbereitschaft bei der Anwendung effektiver Lernstrategien selbst zu erleben. Zum Schluss erhalten die Studierenden eine Infografik, welche die Wirksamkeit der verschiedenen Lernstrategien zusammenfasst. 

Eine detaillierte Beschreibung und Materialien zur Durchführung des Interventionsprogramms finden Sie im Beitrag  “Fostering effective learning strategies” von Biwer und Kolleg:innen (2020).

Lupe

Ergebnisse erster Untersuchungen

Das Interventionsprogramm Study Smart wurde von Biwer und et al. (2020) in einer ersten Untersuchung mit Fragebögen und qualitativen Interviews analysiert. Erste Ergebnisse zeigen, dass Studierende, die an dem Programm teilnahmen, spezifisches Wissen darüber erwerben, welche Lernstrategie sie bei welchem Lernmaterial adäquat einsetzen können. 

Voraussetzung für den tatsächlichen Einsatz effektiver Strategien ist aber, dass Studierende passende Aufgabenstellungen in der Lehre, aber auch in der Prüfungssituation erhalten, die den Einsatz effektiver Strategien unterstützen.

Fazit für die Lehre

Die Erkenntnisse aus der Intervention Study Smart können in mehrfacher Hinsicht für die Lehrpraxis verwendet werden: 

  • Lehrende sollten in den eigenen Lehrveranstaltungen stärker auf den Einsatz effektiver Lernstrategien achten. Das gelingt über entsprechende Lernaufgaben, die Studierende dazu auffordern, ein bestimmtes Lernverhalten zu zeigen und somit effektive Lernstrategien anzuwenden.
  • Im Sinne der Strategie verteiltes Lernen soll Wissen in immer größer werdenden zeitlichen Abständen durch kleine Tests oder Aufgaben wiederholt werden.
  • Indem Selbsttests wie Quizzes mit offenen Fragen zur Verfügung gestellt werden, können Studierende ihr aktuelles Kompetenzniveau richtig einschätzen und die Qualität ihres Lernens immer wieder überprüfen.
  • Beim Feedback sollte mit den Studierenden gemeinsam reflektiert werden, wie mit dem Lernmaterial umgegangen wurde und im Hinblick auf langfristiges Lernen effektive Lernstrategien besprochen werden. 
  • Auch Prüfungen sollten in Hinblick auf den Einsatz effektiver Lernstrategien gestaltet werden. Indem die Prüfungen das Lösen praxisnaher Probleme und Aufgaben beinhalten, werden Studierende gezwungen sich entsprechend mit dem Einsatz effektiver Lernstrategien wie Retrieval Practice auf die Prüfung vorzubereiten (Constructive Alignment, Biggs & Tang, 2011). 
  • Besonders geeignet kann das Interventionsprogramm zur Entwicklung von effektiven Lernstrategien für Erstsemesterstudierende sein. Studienanfänger:innen können gleich zu Beginn für die Effektivität von Lernstrategien sensibilisiert werden und erfahren, wie sie diese im Selbststudium einsetzen.

Literatur

Biggs, J. & Tang, C. (2011). Teaching for quality learning at university. What the student does (4th ed.). Maidenhead: Society for Research into Higher Education and Open University Press.

Biwer, F., oude Egbrink, M. G. A., Aalten, P., & de Bruin, A. B. H. (2020). Fostering Effective Learning Strategies in Higher Education – A Mixed-Methods Study. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 9(2), 186-203. https://doi.org/10.1016/j.jarmac.2020.03.004

Dunlosky, J., Rawson, K. A., Marsh, E. J., Nathan, M. J., & Willingham, D. T. (2013). Improving students’ learning with effective learning techniques: Promising directions from cognitive and educational psychology. Psychological Science in the Public Interest, 14(1), 4-58. https://doi.org/10.1177/1529100612453266


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Rottmeier, S. (2024, 14. März).  Effektive Lernstrategien – und wie sie gefördert werden können. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20240314.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Stephanie Rottmeier
Dr. Stephanie Rottmeier is a research assistant at the Centre for University and Academic Teaching (ZHW) at the University of Regensburg. She supports and advises lecturers with regard to the didactic design of lectures and seminars. Her focus here is on the themes of self-regulated learning, particularly the digital organisation of self-learning phases, and students’ motivation to learn.

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