Lehrkonzepte

Blended Learning: Qualität trotz Flexibilität?

27. Oktober 2022

Auch wenn sich nur wenige die Zeit der reinen Onlinelehre aus der Corona-Pandemie zurück wünschen: Die Flexibilität, die die Integration von Onlineelementen in die Präsenzlehre bietet, wollen viele Studierende und Lehrende nicht mehr missen. Aber wie viel Flexibilität ist möglich, ohne dabei Minderungen im Lernerfolg in Kauf zu nehmen? Müller und Mildenberger (2021) sind der Frage nachgegangen und haben dabei erstaunliche Ergebnisse gefunden.

Blended Learning scheint die Zukunft des Lernens an Hochschulen zu sein. Das Konzept verspricht, dass damit  die Vorteile der Präsenzlehre (insbesondere die soziale Präsenz) mit multimedialen und interaktiven Möglichkeiten kombiniert werden. Gleichzeitig ermöglicht Blended Learning auf organisatorischer Ebene Freiräume und Flexibilität für orts- und zeitunabhängiges Lernen und erlaubt Studierenden ein individuelles Lerntempo.

Offen ist dabei, ob es möglich ist, die Präsenzzeit zu reduzieren und damit die Flexibilität zu erhöhen, ohne dabei eine Verschlechterung des Lernerfolgs in Kauf zu nehmen. Müller und Mildenberger (2021) sind in einer Meta-Analyse dieser Frage nachgegangen. 

Sie wollten wissen,

  1. ob sich die Reduktion der Präsenzzeit auf den Lernerfolg von Studierenden auswirkt und
  2. ob ein möglicher Effekt durch verschiedene Moderatorvariablen wie Rahmenbedingungen, Methodik der Studie oder Art der Umsetzung beeinflusst wird.

Strenge Auswahl der Studien

Auf den ersten Blick scheint die Studienlage zum Thema “Blended Learning” überwältigend. Bei einer Suche in einschlägigen Literaturdatenbanken fanden Müller und Mildenberger (2021) insgesamt 1483 Studien zu diesem Thema, die nach 2008 publiziert wurden. Aus diesen Artikeln wählten die Autoren 

  • Primärstudien,  
  • die Hochschullehre über ein ganzes Semester begleitet haben.
  • Um unterschiedliche Lehrveranstaltungen vergleichen zu können, definierten die Autoren Blended Learning als ein Kursdesign, das Präsenzphasen beinhaltet, bei dem aber ein substantieller Zeitanteil von 30-79% der aufgewendeten Lernzeit online und vorwiegend asynchron (Müller, 2022) durchgeführt wird. Studien mit einem geringeren oder höheren Anteil an Präsenzphasen wurden von der Meta-Analyse ausgeschlossen.
  • Wesentlich war auch, dass der Lernerfolg über objektive Leistungserhebung gemessen wurde. 
  • Eingeschlossen wurden außerdem nur Studien mit einem kontrollierten Design, die Studien verglichen jeweils eine experimentelle Gruppe (Blended Learning) mit den Ergebnissen einer Kontrollgruppe (Präsenzveranstaltung),
  • und ausreichender Datenqualität.

Übrig blieben nach diesem Auswahlverfahren 21 Artikel, die alle Kriterien erfüllten. Diese Studien untersuchten den Lerneffekt bei insgesamt 5509 Studierenden, die wahlweise im Blended Learning Format (Experimentalgruppe, n=2505) oder in traditionellen Präsenzveranstaltungen (Kontrollgruppe, n=3004) lernten.

Wie stark ist der Effekt von blended learning?

Aus den eingeschlossenen Studien berechneten Müller und Mildenberger (2021) die Effektstärke (Hedges’ g). Diese drückt aus, wie stark sich der Lernerfolg beim Einsatz von Blended Learning (Experimentalgruppe) im Vergleich zu einer traditionellen Lernumgebung (Kontrollgruppe) unterscheidet. Dabei gilt üblicherweise eine Effektstärke ab 0.2 als geringer Effekt, ab 0.5 als moderater Effekt und ab 0.8 als starker Effekt (Bortz & Schuster, 2010).

Das Ergebnis: Es gibt kaum einen messbaren Effekt. Über alle 21 Einzelstudien hinweg war die Effektstärke nahezu null (g = 0.06). Das Konfidenzintervall [−0.13; 0.25] deutet darauf hin, dass durch die Reduktion von Präsenzzeit zugunsten von Onlinelehre allenfalls sehr geringe negative Effekte zu erwarten sind. Oder umgekehrt gedacht: Allein durch die Kombination medialer Lernumgebungen mit Präsenzlehre werden per se nur wenige positive Effekte erzielt.

Spielen Kontext oder methodisches Design eine Rolle?

Die Autoren warfen auch einen genaueren Blick auf verschiedene Moderatorvariablen, die möglicherweise die Ergebnisse beeinflussen könnten. Sie untersuchten die Daten u.a. in Hinblick darauf,

  • ob es Unterschiede nach Fachbereichen (MINT vs. andere Fachbereiche) gibt,
  • ob eine zufällige vs. freiwillige Zuordnung der Studierenden zur Experimental- bzw. Kontrollgruppe die Ergebnisse beeinflusst,
  • ob es einen Unterschied macht, wenn dieselbe Lehrperson beide Varianten unterrichtet bzw. die Lehrpersonen wechseln,
  • ob die Art der Leistungserhebung (Examen vs. integrierter Test) die Ergebnisse beeinflusst und 
  • ob sich die Ergebnisse von Gruppen mit unterschiedlichen zeitlichen medialen Anteilen signifikant voneinander unterscheiden.

Die Antwort auf all diese Fragen ist Nein, bestenfalls marginal, in keinem der Fälle auch nur annähernd signifikant (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1. Ergebnisse der Analyse möglicher Moderatorvariablen; Darstellung in Anlehnung an Müller und Mildenberger (2021).

Macht flipped classroom den Unterschied?

Ein weiteres Ergebnis ist vor dem Hintergrund der aktuell geführten Diskussion besonders überraschend: Verschiedene Meta-Analysen zu flipped classroom zeigen, dass durch diese Methodik im Vergleich zur Präsenzlehre geringe bis moderate Vorteile erzielt werden können. Gilt das in gleichem Maße auch für andere Konzepte des Blended Learning? Müller und Mildenberger (2021) sind auch dieser Frage nachgegangen. Sie überprüften, ob der Lernerfolg durch das gewählte Lerndesign (flipped classroom vs. andere Konzepte des Blended Learning) beeinflusst wird. Auch hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied (vgl. Tabelle 2). 

Tabelle 2. Lerndesign als Moderatorvariable; Darstellung in Anlehnung an Müller und Mildenberger (2021).

Alle untersuchten Lerndesigns unterschieden sich nicht von der vergleichbaren Präsenzveranstaltung. Dies gilt unabhängig davon, ob Blended Learning im flipped classroom Format angeboten wurde oder nicht.

Was folgt aus diesen Ergebnissen?

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Lehrende an Universitäten und Hochschulen durchaus mehr zeitliche und räumliche Flexibilität durch Blended Learning wagen können. Die Substitution von Präsenzphasen in Lehrveranstaltungen durch mediale Elemente führt nicht automatisch zu schlechteren Lernergebnissen. 

Es sind didaktische Kriterien wie z.B. Erwartungsklarheit, geeignete Aufgabenstellung, soziale Präsenz oder gezieltes Feedback, die eine gute Lehrveranstaltung auszeichnen. Nicht ob, sondern wie Blended Learning in Hochschulen eingesetzt wird, beeinflusst den Lernerfolg. 

Wie sehr mit der Einführung von Blended Learning nicht nur mehr Flexibilität, sondern auch ein Qualitätsvorteil erzielt werden kann, hängt davon ab, wie gut es Lehrenden gelingt, didaktische Elemente medial umzusetzen. Einen Überblick über wesentliche Gestaltungsfaktoren bietet ein Vortrag von Mörth et al. (2021). Eine wohlüberlegte, aufeinander abgestimmte Abfolge von Präsenz- und Onlinephasen ist nötig, um das Potenzial beider Varianten des Lernens möglichst optimal auszuschöpfen (Nortvig et al., 2018). 

Welche Erfahrung haben Sie mit Blended Learning gemacht? Welche Aspekte sind Ihnen bei der Umsetzung wichtig? Teilen Sie Ihre Erfahrungen gerne über die Kommentarfunktion.


Literatur

Bortz, J., & Schuster, C. (2010). Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. (7., vollst. überarb. und erw. Aufl). Springer.

Mörth, M., Ulrich, I. & Enders, N. (2021, 03. November). Online, blended, hybrid, Präsenz? Evidenzbasierte Erkenntnisse zur Gestaltung (digitaler) Lehre. Vortrag auf dem University:Future Festival, Berlin. 

Müller, C. (2022, 27. September). Flexibles Lernen mit Blended Learning: Empirische Befunde und praktische Gestaltungsempfehlungen. Tag der digitalen Lehre 2022, Universität Regensburg.

Müller, C., & Mildenberger, T. (2021). Facilitating flexible learning by replacing classroom time with an online learning environment: A systematic review of blended learning in higher education. Educational Research Review, 34. https://doi.org/10.1016/j.edurev.2021.100394

Nortvig, A. M., Petersen, A. K., and Balle, S. H., (2018). A Literature Review of the Factors Influencing E-Learning and Blended Learning in Relation to Learning Outcome, Student Satisfaction and Engagement. The Electronic Journal of e-Learning, 16(1), pp. 46-55


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B. (2022, 27. Oktober). Blended Learning: Qualität trotz Flexibilität? Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20221027.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Birgit Hawelka

Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.

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