Zu Beginn des Jahres haben wir Sie gefragt: Was wollten Sie schon immer über Lehre wissen? Die am häufigsten gestellte Frage lautete: Soll ich meine PowerPoint-Folien bereits vor meinem Vortrag zur Verfügung stellen oder eher nicht?
Eine Studie von León und García-Martínez (2021) versucht, diese Frage zu beantworten.
Ist es sinnvoll, den Foliensatz bereits vor einer Lehrveranstaltung bereitzustellen? Fragt man Studierende, so ist die Antwort recht eindeutig: Ja bitte, unbedingt! In Teaching Analysis Polls (und vermutlich auch anderen Lehrveranstaltungsevaluationen) wird von Studierenden häufig kritisch angemerkt, wenn Foliensätze nicht im Vorfeld zur Verfügung stehen. Eine Literaturanalyse von León & García-Martínez (2021) bestätigt dieses Bild: Studierende sind der festen Überzeugung, dass die Ausgabe von PowerPoint-Folien ihre Lernprozesse unterstützt.
Allerdings halten nicht immer subjektiven Überzeugungen auch einem Realitätscheck stand: Manche Vorstellungen über Lehren und Lernen entstammen eher dem Bereich der Mythen als der Evidenzen.
Die Studienlage zu diesem Thema ist nicht eindeutig (León & García-Martínez, 2021): Einige Studien sehen einen klaren Vorteil darin, PowerPoint-Folien vorab auszuteilen. Andere Studien kommen zu dem genau gegenteiligen Ergebnis oder zeigen gar keine Tendenz auf. Gemeinsam ist diesen Studien, dass sie Effekte zwischen verschiedenen Veranstaltungen gesucht haben. Die Zusammensetzung der Teilnehmer:innen könnte dabei sehr unterschiedlich sein. Es ist daher nicht auszuschließen, dass andere Effekte (wie z.B. das Vorwissen der Studierenden) die Studienergebnisse beeinflusst haben. León und García-Martínez (2021) haben daher ein kontrolliertes Studiendesign innerhalb einer Lehrveranstaltung verwendet.
Sie suchten Antworten auf folgende Forschungsfragen:
- Wie wirkt sich die vorzeitige Bereitstellung von PowerPoint-Folien auf die akademische Leistung der Studierenden aus?
- Lassen sich dabei potenzielle Unterschiede durch student engagement oder die Anwendung von Lernstrategien erklären?
- Hat die Bereitstellung von Folien einen Einfluss auf die Anwesenheit der Studierenden in der Lehrveranstaltung?
Die Studie wurde in einer Lehrveranstaltung im Fachbereich Pädagogik an der University of Jaén (Spanien) durchgeführt. An der Veranstaltung nahmen 173 Studierende teil, die Anwesenheit war freiwillig.
Inhaltlich war die Lehrveranstaltung in sechs Themenblöcke aufgeteilt, für die insgesamt 167 Folien erstellt wurden. Über eine zufällige Auswahl wurde festgelegt, zu welchen Themenblöcken die Folien vorab an die Studierenden ausgehändigt wurden (y-ppt) und zu welchen Themen die Folien zwar in der Präsenzlehre eingesetzt, nicht aber an die Studierenden ausgegeben wurden (n-ppt). Abbildung 1 zeigt die Verteilung im Überblick.
Schwächere Lernleistung bei der Bereitstellung von PowerPoint-Folien
Zur Überprüfung des Wissenserwerbs beantworteten die Studierenden am Ende des Semesters (ergänzend zur eigentlichen Modulprüfung) Multiple-Choice-Fragen zu jedem Themenblock. Die Auswertung der Ergebnisse zeigt signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen (ξ2(2) = 22,68, p<0,001). Zu den Themenblöcken, zu denen die Studierenden keine PowerPoint-Folien erhalten hatten, wurden mehr Antworten richtig beantwortet (siehe Abbildung 2). Die Zahl der falschen Antworten war unabhängig von der Bereitstellung der Folien. Unbeantwortet wiederum blieben mehr Fragen, zu denen die Studierenden PowerPoint-Folien erhalten hatten.
Dieses Ergebnis wird kaum durch individuelle Faktoren wie student engagement und den Einsatz von Lernstrategien moderiert. Beide Faktoren wurden durch standardisierte Instrumentarien zur Semestermitte erfasst.
Studierende erzielten niedrigere Ergebnisse beim Wissenstest, wenn Folien bereitgestellt wurden und höhere, wenn sie keine Folien erhielten. Dies gilt unabhängig von student engagement und der Anwendung von Lernstrategien.Gleichzeitig schnitten Studierende mit durchschnittlichen oder hohen Werten bei der Erfassung von student engagement beim Wissenstest besser ab als Kommiliton:innen mit niedrigen Werten – unabhängig davon, ob für die Themen PowerPoint-Folien bereitgestellt wurden oder nicht. Gleiches gilt für Studierende mit einem hohen Einsatz von Lernstrategien.
PowerPoint-Folien ersetzen Anwesenheit
Die Anwesenheit wurde unangekündigt und zu zufällig gewählten Zeitpunkten jeweils einmal pro Themenblock überprüft. Aus Abbildung 3 geht deutlich hervor, dass die Bereitstellung der Folien das Fernbleiben der Studierenden von der Veranstaltung begünstigt.
Während zu den Themenblöcken mit PowerPoint-Folien nur ungefähr ein Fünftel der Studierenden an der Präsenzsitzung teilnahm, waren bei den Themen ohne Folien mindestens 77,2% der Studierenden anwesend.
Künftig keine PowerPoint-Folien mehr aushändigen?
Auf den ersten Blick liefert diese Studie eindeutige Ergebnisse: Die Bereitstellung von PowerPoint-Folien führte in dieser Studie dazu, dass Studierende häufiger fehlen und schlechter in Wissenstests abschneiden. Frühere Studien (z.B. Crede et al., 2010) belegen eindeutig, dass die Anwesenheit einer der besten Einzelprädiktoren für den Lernerfolg ist. Daher könnte das schlechtere Abschneiden der Studierenden bei den Themen mit PowerPoint-Material durch die geringe Anwesenheit erklärt werden.
Aber auch andere Faktoren, die nicht kontrolliert erhoben wurden, könnten das Ergebnis beeinflusst haben. Denkbar ist, dass durch das Bereitstellen der PowerPoint-Materialien die Aufmerksamkeit während der Lehrveranstaltung sank. Oder die Materialien dazu geführt haben, dass Mitschriften oberflächlicher angefertigt wurden.
Diese Punkte würden dafür sprechen, künftig keine Folien mehr auszugeben.
Gleichzeitig ist das Lerngeschehen zu komplex, um es auf diese Faktoren zu beschränken. So wurde auch in der Studie bereits angedeutet, dass der Einsatz von Lernstrategien und student engagement den Lernerfolg maßgeblich beeinflussen – und zwar unabhängig davon, ob Folien bereitgestellt werden oder nicht.
Letztendlich spielen auch emotionale und motivationale Faktoren eine Rolle. Die Ausgabe von PowerPoint-Folien scheint Studierenden eine gewisse subjektive Sicherheit zu geben, das Wichtigste schon mal zu haben. Und viele erwarten den Foliensatz als festen Bestandteil einer Lehrveranstaltung. Die (interne) Ankündigung, künftig darauf zu verzichten, hat mindestens bei unseren studentischen Mitarbeiter:innen blankes Entsetzen hervor gerufen.
Sofern die Anwesenheit auf andere Art und Weise sichergestellt oder angeregt werden kann, liefert auch diese Studie keine eindeutige Evidenz. Weder dafür, dass ein ausgeteilter Foliensatz maßgeblich das Lernen begünstigt, noch dafür, dass er es behindert. Wichtiger scheint – wie so oft – zu sein, wie das Material gestaltet und in das Curriculum eingebettet ist.
Die Frage “Foliensatz – ja oder nein” wird vermutlich noch für längere Zeit zwischen Lehrenden und Studierenden diskutiert werden. Einige Punkte sprechen dafür, andere dagegen. Letztendlich scheinen andere Faktoren als die Ausgabe des Foliensatzes den Lernerfolg deutlich stärker zu beeinflussen.
Wie halten Sie es mit der Ausgabe Ihres Foliensatz? Teilen Sie Ihre Erfahrungen gerne über Twitter, Facebook oder gleich direkt in der Kommentarfunktion.
Selbstverständlich können Sie uns hier auch das ganze Jahr über weitere Fragen zum Lehren und Lernen an Hochschulen stellen. Wir versuchen dann, Ihre Fragen evidenzbasiert zu beantworten.
Literatur
Credé, M., Roch, S. G., & Kieszczynka, U. M. (2010). Class Attendance in College: A Meta-Analytic Review of the Relationship of Class Attendance With Grades and Student Characteristics. Review of Educational Research, 80(2), 272–295. https://doi.org/10.3102/0034654310362998
León, S. P., & García-Martínez, I. (2021). Impact of the provision of PowerPoint slides on learning. Computers & Education, 173, 104283. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2021.104283
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B. (2022, 16. Juni). Vortragsfolien im Vorfeld bereitstellen – Ja oder Nein? Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20220616.DE
Unsere Autoren stellen sich vor:
Birgit Hawelka
Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.
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