Lehrkonzepte

Vorlesungszeit!

5. Mai 2022

Am Sinn oder Unsinn von Vorlesungen scheiden sich die Geister. Bei der Diskussion wird häufig übersehen, dass weniger das Veranstaltungsformat als vielmehr die konkrete Ausgestaltung das Lernen von Studierenden unterstützt oder verhindert. Wir werfen daher mit Cerbin (2018) einen lerntheoretischen Blick auf die Vorlesung.

Auch wenn die Vorlesung häufig tot gesagt wurde – es gibt zahlreiche gute Gründe, die für dieses Format sprechen. Wie bei allen anderen Veranstaltungsformaten auch, ist ein Lernerfolg dabei weder selbstverständlich noch unmöglich. Letztendlich muss sich die Qualität daran messen, ob es gelingt, Studierende anzuregen, das Gehörte aktiv zu verarbeiten und in bestehende Wissensbestände zu integrieren. Cerbin (2018) identifiziert bei einer lerntheoretischen Analyse vier Probleme und Stolpersteine, die häufig die Lernprozesse in Vorlesungen erschweren. Davon ausgehend leitet er verschiedene Methoden ab, wie Lehrende ihre Studierenden beim Lernen vor, während und nach Vorlesungen unterstützen können.

Problem 1: Fehlendes oder fehlerhaftes Vorwissen

Studierende verfügen teilweise nicht über das nötige Vorwissen, um von der Teilnahme an Vorlesungen ausreichend zu profitieren. Unbekannte Fachausdrücke oder fehlendes Wissen über Zusammenhänge verschiedener Theorien verhindern, dass Studierende dem Vortrag folgen können. Auch falsche und ungenaue Vorkenntnisse, die aus einem fehlerbehafteten Alltagsverständnis stammen, erschweren das Verständnis. Dies gilt übrigens nicht nur für Vorlesungen, sondern für alle Formen von Lehrveranstaltungen. Unser Vorwissen und die Art, wie dieses Wissen organisiert ist, bestimmen in hohem Maße, was und wie wir lernen. Bransford (2000, nach Cerbin, 2018) fasst die jahrzehntelange Lehr-Lern-Forschung mit folgendem Satz zusammen:

Students come to every learning situation with prior knowledge, skills, beliefs, and concepts that significantly influence what they notice about the situation, how they organize and interpret it. This affects their ability to remember, reason, solve problems, and acquire new knowledge (p. 10).

Hilfreich ist daher, den Studierenden im Vorfeld die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen zu überprüfen. Geeignet sind dazu – je nach Lernziel – kurze Quizzes, Anwendungsaufgaben oder Fallstudien, die über eine veranstaltungsbegleitende Lernplattform wie z.B. Moodle bereitgestellt werden. Wichtig ist dabei, dass die Studierenden nicht nur eine Rückmeldung über fehlendes oder fehlerhaftes Wissen, sondern auch Hinweise auf Lernmaterialien erhalten, mit denen sie ggf. diese Lücken schließen können. Lehrende erhalten damit gleichzeitig ein Feedback über den Wissensstand ihrer Studierenden und können ggf. in der Lehrveranstaltung darauf reagieren. Praktiziert wird diese Methode z.B. bei neueren Ansätzen wie just in time teaching oder dem flipped classroom. Aber auch für traditionelle Vorlesungen kann dies eine gute Gelegenheit sein, die Studierenden beim Aufbau geeigneten Vorwissens zu unterstützen.

Problem 2: Cognitive overload

Die kognitiven Kapazitäten eines Menschen sind limitiert. In einem festgelegten Zeitraum kann nur eine beschränkte Menge neuer Informationen verarbeitet werden. Die Aufnahme und Verarbeitung von neuem Wissen stellt daher eine kognitive Belastung (cognitive load) dar (Sweller et al., 2011). Wie hoch diese Belastung ist, hängt unter anderem von der Komplexität des Lerngegenstandes ab. Sweller et al. (2011) sprechen hier von intrinsic load. Je mehr Elemente gelernt werden müssen und je stärker diese einzelnen Elemente miteinander verbunden sind und voneinander abhängen, desto stärker ist die kognitive Belastung beim Lernen. Subjektiv wird ein Gegenstand umso komplexer wahrgenommen, je geringer das Vorwissen ist. Aber auch die Art und Weise, wie Lernmaterial und Lernumgebung gestaltet sind, kann die kognitive Belastung beim Lernen beeinflussen (extraneous load). Ablenkungen (auch und insbesondere durch den Gebrauch von Handys), inkohärente Präsentationen oder zu viel Stoff können verhindern, dass Wissen in Vorlesungen gespeichert und verarbeitet wird.

“If intrinsic cognitive load is high, adding a high extraneous cognitive load to an already high intrinsic cognitive load may well result in an excessive total load (Sweller et al., p. 68).

Lehrende können auf vielfältige Weise dazu beitragen, den extraneous load niedrig zu halten. Eine Möglichkeit ist längst bekannt und sehr einfach, wird aber selten eingesetzt: Ruhl et al. konnten bereits 1987 nachweisen, dass eine zweiminütige Pause ca. alle 20 Minuten die Behaltensleistung bei Vorlesungen deutlich steigert.

Auch ein kohärenter Vortrag, der wesentliche Punkte hervorhebt und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen einer Vorlesung(sreihe) deutlich macht, erleichtert das Lernen enorm. Selbstverständlich trägt auch eine gekonnte Foliengestaltung nach den Prinzipien multimedialen Lernens dazu bei, den extraneous load zu reduzieren. Im folgenden Video zeigt Prof. Patrick Winston (M.I.T.) mustergültig auf, wie eine Vorlesung gestaltet werden kann. Der Film dauert ca. 60 Minuten – eine Zeit, die gut investiert ist!

Problem 3: Oberflächliches Lernen

Verschiedene Lernstrategien und -techniken im Studium unterscheiden sich u.a. nach der Verarbeitungstiefe und Intensität der Beschäftigung mit einer Thematik (Biggs & Tang, 2011). Oberflächenstrategien zielen dabei eher auf das mechanische Wiedergeben von Lerninhalten ab. Im Gegensatz dazu stehen tiefenorientierte Lernstrategien. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass Studierende Informationen mit dem Vorwissen verknüpfen, Muster erkennen und Prinzipien organisieren, oder auch Implikationen und Konsequenzen neuer Informationen finden.

Teilweise neigen Studierende in Vorlesungen eher zur Anwendung von Oberflächenstrategien: Sie schreiben möglichst viel mit oder markieren zentrale Passagen auf dem Ausdruck der Folien. Mögliche Ursache für diese eher passive Haltung könnten die Sitzordnung und das Setting in Hörsälen sein. Studierende scheinen hier an ein Theater erinnert zu werden: Auf der Bühne und im Scheinwerferlicht steht jemand, der (möglichst unterhaltsame) Inhalte liefert, und die Studierende sind Zuschauer im dunkleren Bereich des Raumes, die lediglich konsumieren. 

Umso wichtiger ist es, in Vorlesungen Studierende gezielt zu tiefenorientiertem Lernen anzuregen. Eine gute Methode ist dabei eine Murmelgruppe oder Buzzgroup:

Als Lehrperson unterbrechen Sie Ihre Vorlesung nach einer Sinneinheit und bitten die Studierenden, sich in kleinen Gruppen von 2-3 Personen zusammen zu finden. Anschließend stellen Sie den Studierenden eine Frage bzw. Aufgabe zur Verarbeitung der Lerninhalte. Geeignete Impulse sind dabei z.B.

  • Vergleichen Sie das eben gelernte Modell mit dem, das Sie letzte Woche gelernt haben. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?
  • Was wissen Sie zum Thema xy?
  • Was sagt diese Grafik / dieses Diagramm aus?
  • Fassen Sie kurz die wesentlichen Punkte zusammen, die Sie eben gehört haben.
  • Finden Sie Anwendungsbeispiele für die Inhalte, die Sie eben gehört haben.
  • Stellen Sie sich folgendes Szenario vor [Beschreibung des Szenarios]. Was wird wohl als nächstes passieren?

Problem 4: Fehlende Nachbereitung

Ungefähr ein Drittel der Studierenden bereitet die Vorlesung nicht nach. In der Folge wird ein Großteil des Gehörten schnell wieder vergessen. Wichtig ist es daher auch hier, gezielt dazu anzuregen, am Ende einer Veranstaltung oder im Nachgang nochmals die wesentlichen Punkte Revue passieren zu lassen. Geeignet dazu sind alle Methoden, die bereits zur Aktivierung von Vorwissen aufgezeigt wurden. Quizzes, Anwendungsaufgaben oder Fallstudien im Nachgang von Vorlesungen regen dazu an, das Gelernte nochmals aufzurufen und damit zu verfestigen.

Aber auch am Ende einer Vorlesung lohnt es sich, die Studierenden nochmals anzuhalten, die wichtigsten Punkte zusammenzufassen. Methoden wie die Murmelgruppe (die bereits oben beschrieben wurde) oder ein one minute paper sind hier sehr gut geeignet.

Wie unterstützen Sie die Lernprozesse von Studierenden in Vorlesungen? Womit haben Sie gute oder auch schlechte Erfahrungen gemacht? Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns. Gerne über die Kommentarfunktion oder auch über Twitter, Facebook oder linkedIn.


Literatur

Brame, C. (2013). Just-in-Time Teaching (JiTT). Vanderbilt University Center for Teaching.

Biggs, J. & Tang, C. (2011). Teaching for Quality Learning at University. 4th Edition. McGraw Hill.

Cerbin, W. (2018). Improving student learning from lectures. Scholarship of Teaching and Learning in Psychology, 4(3), 151–163. https://doi.org/10.1037/stl0000113 

Ruhl, K., Hughes, Ch. & Schloss, P. (1987). Using the Pause Procedure to Enhance Lecture Recall. Teacher Education and Special Education, 10(1), 14-18. 

Sweller, J., Ayres, P. & Kalyuga. S. (2011). Cognitive Load Theory. Springer.


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B. (2022, 5. Mai). Vorlesungszeit! Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20220505.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Birgit Hawelka

Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.

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