Erstellen Sie ein Lehrvideo, ist Ihr Ziel vermutlich dessen möglichst lernförderliche Gestaltung. Für die Elemente, die in die Bildspur eingebunden sind, sowie für die sprachliche Gestaltung gibt es eine Reihe von fundierten und evidenzbasierten Empfehlungen, auf die Sie zurückgreifen können. Wie aber sieht es im Hinblick auf die Entscheidung aus, ob Sie als Person in dem Lehrvideo im Bild sein sollten oder eben nicht?
Grundsätzlich scheint es in der jüngeren Vergangenheit einen Trend zu geben, dass die Lehrperson im Bild sichtbar ist (Henderson & Schroeder, 2021). Technisch lässt sich das heute recht leicht mittels Webcam und Headset umsetzen. Und es gibt bereits die ersten KI-Assistenten (z.B. Captions, Descript) auf dem Markt, welche die Erstellung “studiotauglicher” Personenaufnahmen versprechen. Für uns ein Grund, der Frage nachzugehen, ob die Präsenz der Person in einem Lehrvideo das Lernen erleichtert oder behindert. Und wir nehmen das Ergebnis gleich vorweg: Es gibt – Stand heute – keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Die Person im Bild ist weder signifikanter Boost noch signifikante Bremse.
Aus theoretischer Sicht gibt es Pro und Contra
Pro: Der Anblick der Lehrperson führt zu besseren Lernergebnissen
In der Regel greifen Studierende über das Internet auf Lehrvideos zu, die z.B. auf einer Videoplattform oder in einem E-Learning-Kurs hinterlegt sind. Meist betrachten sie die Videos von zuhause aus. Dies kann bei den Studierenden ein Gefühl der Unpersönlichkeit sowie fehlender sozialer Eingebundenheit hervorrufen. Und dies wiederum führt dazu, dass sie weniger Anstrengung in die aktive Bearbeitung des Lehrvideos stecken. Gemäß der Social-Agency-Theory (Fiorella & Mayer, 2021) kann der Anblick der Lehrperson dieser ungünstigen Situation entgegenwirken: Mittels der sozialen Hinweisreize, welche die im Bild sichtbare Lehrperson aussendet (z.B. Gestik, Mimik, Augenkontakt), kann bei den Lernenden das Gefühl sozialer Präsenz, also zwischenmenschlicher Interaktion, hervorgerufen werden, auch wenn die Lehrperson physisch nicht präsent ist. Dies führt in der Folge auf Seiten der Lernenden zu einem gesteigerten Bemühen, die Kommunikationsinhalte richtig einzuordnen und zu verstehen. Daraus ergibt sich eine erhöhte aktive kognitive Verarbeitung der kommunizierten Informationen, woraus in der Folge bessere Lernergebnisse resultieren.
Contra: Die Person lenkt von den Inhalten ab
Nach der Cognitive Load Theory (Sweller, van Merriënboer & Paas, 1998; 2019) kann die Anwesenheit der Lehrperson im Bild zu einer höheren kognitiven Belastung bei den Studierenden führen: Die Lernenden müssen ihre Aufmerksamkeit zwischen den im Lehrvideo auf der Bildebene präsentierten Inhalten (z.B. Präsentationsfolien, Tafelbilder, Grafiken, reale Gegenstände) und der präsentierenden Person aufteilen (Split-Attention-Effekt; Sweller & Ayres, 2021).
Auch die empirische Forschung liefert keine eindeutigen Ergebnisse
In der Forschungsliteratur wird das Thema schon seit einigen Jahren diskutiert, aber erst in jüngerer Zeit wurden einige Reviews und Metaanalysen zu instructor‑present videos veröffentlicht.
Henderson & Schroeder (2021) analysierten 12 Studien (peer-reviewed; veröffentlicht zwischen 2011 und 2021). Die von Ihnen untersuchten Arbeiten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Insgesamt liefert ihre deskriptive Analyse keine Evidenz dafür, dass sich die Präsenz der Lehrperson im Bild positiv auf das Lernen auswirkt, noch zeigt sich ein negativer Einfluss auf das Lernen. Sie fanden jedoch Belege dafür, dass sich durch die im Bild sichtbare Person die Zufriedenheit der Studierenden erhöht.
Alemdag (2022) führte eine Metaanalyse von 20 experimentellen Studien durch (Veröffentlichungsdatum: 1994-2021). Er untersuchte den Effekt der instructor presence auf das Lernen (Wissen und Transfer), die kognitive Belastung, die Motivation und die soziale Präsenz. Alemdag kam zu dem Ergebnis, dass die Präsenz der Lehrperson zwar die kognitive Belastung und die Motivation erhöht (und damit im Einklang mit den beiden oben genannten Theorien ist), sie jedoch keinen signifikanten Einfluss auf das Lernen und die soziale Präsenz hat. Auch Alemdag stellt damit zusammenfassend fest, dass die Person im Bild weder das Lernen der Studierenden verbessert noch es behindert. Lediglich in Laborstudien hatte die im Bild sichtbare Lehrperson einen positiven (kleinen bis mittleren) Effekt auf das Lernen. Bei Studien, die in Online-Lernumgebungen durchgeführt wurden, trat kein signifikanter Effekt auf.
In die Metastudie von Polat (2022) flossen die Ergebnisse von 41 empirischen Studien (peer-reviewed; Publikationsdatum: 2014 – 07/2022) ein. Sie ist in Bezug auf den Umfang der Ressourcen und der Fragestellung die umfangreichste der drei Studien. Polat untersucht u.a. den Effekt der instructor presence auf kognitive, soziale und affektive Lernergebnisse. In Bezug u.a. auf Aufmerksamkeit, Lernleistung/Lernerfolg, den Transfer sowie die kognitive Belastung waren die Ergebnisse der Quellen insgesamt gemischt und nicht eindeutig. Auch für die soziale Präsenz sowie die parasoziale Interaktion stellt Polat fest, dass es keine signifikanten Effekte zwischen den beiden Varianten (mit/ohne Person im Bild) gibt.
Für die Aspekte Emotion, Zufriedenheit und Lernfreude hingegen finden sich Effekte: Die Lehrperson im Bild wirkt sich positiv auf die Zufriedenheit der Studierenden aus. Zudem stehen sie Lehrvideos mit Person im Bild positiver gegenüber und empfinden sie als unterhaltsamer als Videos ohne sichtbare Lehrperson. Und das jeweils unabhängig von Alter, Geschlecht und Expertise der sichtbaren Person.
Was lässt sich daraus für die Lehrpraxis ableiten?
Weder aus theoretischer noch aus empirischer Sicht lässt sich eine klare Empfehlung für oder gegen die Einbindung einer im Bild sichtbaren Person in einem Lehrvideo geben.
1. Entscheiden Sie von Fall zu Fall
Neben Ihrer persönlichen Vorliebe sollten Sie die Entscheidung u.a. vor dem Hintergrund des Einsatzes des Lehrvideos und den vorhandenen technischen und zeitlichen Ressourcen treffen. Vor allem bei vollständig online stattfindenden Kursen bietet sich die Einbindung der Lehrperson, zumindest in Teilen des bzw. der Lehrvideos, an: Dies trägt zur Förderung der sozialen Eingebundenheit bei.
Und ebenso dürfte die sowohl von Henderson & Schroeder (2021) als auch von Polat (2022) berichtete erhöhte Zufriedenheit der Studierenden im Zweifelsfall das Zünglein an der Waage sein, in den Mehraufwand zu investieren und als Lehrperson zumindest in Teilen des Videos im Bild zu sein.
2. Achten Sie auf Ihre Körpersprache
Nutzen Sie Handgesten explizit, um auf Neues oder Relevantes hinzuweisen und vermeiden Sie Handbewegungen, die vom Lerngegenstand ablenken. Gleiches gilt für Ihr Blickverhalten: Im Regelfall sollten Sie mit einem offenen Gesichtsausdruck, gepaart mit einem Lächeln, in die Kamera blicken. Eine freundliche, begeisternde Mimik trägt zur Steigerung des Sympathieempfindens bei. Machen Sie aber zusätzlich von der Möglichkeit Gebrauch, die Aufmerksamkeit der Studierenden durch die Veränderung Ihrer Blickrichtung auf neue bzw. relevante Aspekte zu lenken (Polat, 2022).
3. Die anderen Elemente Ihres Lehrvideos machen den Unterschied
Fokussieren Sie sich auf das lernförderliche Design aller anderen auf der Bildspur Ihres Lehrvideos eingebundenen Elemente sowie die inhaltliche Gestaltung. Hierzu gibt es ausreichend gesicherte Erkenntnisse. Zur Vertiefung empfehlen wir Ihnen das “Cambridge Handbook of Multimedia Learning”, herausgegeben von Richard E. Mayer und Logan Fiorella (2021). Sie finden dort ausführliche Erläuterungen zu den grundlegenden Theorien als auch zu den Prinzipien multimedialen Lernens (einschließlich deren Evidenzen).
4. Lassen Sie sich unterstützen
Videos mit der lehrenden Person im Bild sind meist aufwendiger in der Produktion, da Aspekte wie Beleuchtung, Hintergrund und Ton berücksichtigt werden müssen. An vielen Hochschulen und Universitäten, u.a. auch am ZHW der Universität Regensburg, wurden in den letzten Jahren Produktionsstudios eingerichtet, die Lehrende nutzen können, um hochwertige Lehrvideos zu erstellen.
Literatur
Alemdag, E. (2022). Effects of instructor-present videos on learning, cognitive load, motivation, and social presence: A meta-analysis. Education and Information Technologies, 27(9), 12713–12742. https://doi.org/10.1007/s10639-022-11154-w
Ayres, P., & Sweller, J. (2021). The Split-Attention Principle in Multimedia Learning. In R. Mayer & L. Fiorella (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (Cambridge Handbooks in Psychology, pp. 199-211). Cambridge: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108894333.020
Fiorella, L., & Mayer, R. (2021). Principles Based on Social Cues in Multimedia Learning: Personalization, Voice, Image, and Embodiment Principles. In R. Mayer & L. Fiorella (Eds.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (Cambridge Handbooks in Psychology, pp. 277-285). Cambridge: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108894333.029
Henderson, M. L., & Schroeder, N. L. (2021). A Systematic review of instructor presence in instructional videos: Effects on learning and affect. Computers and Education Open, 2, 100059. https://doi.org/10.1016/j.caeo.2021.100059
Mayer, R., & Fiorella, L. (Hrsg.). (2021). The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (3rd ed., Cambridge Handbooks in Psychology). Cambridge: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108894333
Polat, H. (2022). Instructors’ presence in instructional videos: A systematic review. Education and Information Technologies. https://doi.org/10.1007/s10639-022-11532-4
Sweller, J., van Merriënboer, J.J.G. & Paas, F. (2019). Cognitive Architecture and Instructional Design: 20 Years Later. Educational Psychology Review 31, 261–292 (2019). https://doi.org/10.1007/s10648-019-09465-5
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Bachmaier, R. (2023, 14. Dezember). Lehrvideos – Ist die Person im Bild Boost oder Bremse fürs Lernen? Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20231214.DE
Unsere Autoren stellen sich vor:
Regine Bachmaier
Dr. Regine Bachmaier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik der Universität Regensburg. Sie unterstützt die Lehrenden im Bereich "Digitale Lehre", u.a. durch Workshops sowie individuelle Beratung. Daneben versucht sie, den Überblick über Aktuelles aus dem Bereich "Digitale Lehre" zu behalten und weiterzugeben.
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