9 Hindernisse für effektive Lehre

Optimales Lernen für “alle” Studierenden ist das Ziel von Hochschullehre und stellt gleichzeitig die größte Herausforderung dar. Es äußert sich nicht unbedingt in guten Noten, sondern in der Integration von neuem Wissen in das eigene Verständnis. Optimal lernende Studierende beschäftigen sich mit den gelehrten Themen über einen Kurs hinaus und verknüpfen sie mit ihrem bereits vorhandenen Wissen und mit ihrem Alltag.

Wie können wir nun ein derartiges Lernen in unserer Lehre unterstützen? Chew und Cerbin (2020) antworten darauf mit: effective teaching (S.2). Für Chew und Cerbin (2020) bedeutet effektive Lehre, dass Lernumgebungen entstehen, die auf kognitiven Prinzipien beruhen und den Transfer von Wissen ermöglichen. Sie entwickelten ein Rahmenkonzept mit neun Aspekten, die sie als cognitive challenges für Lehrende bezeichnen. Diese challenges sollen Lehrende bei der Gestaltung von jeder studentischen Lernumgebungen berücksichtigen:

1, Mentales Mindset

Die mentale Einstellung von Studieren bezieht sich auf ihre Überzeugungen und Erwartungen an einen Kurs oder an ein Fach. Jedoch auch die Einschätzung, wie wahrscheinlich man selbst in diesem Kurs durch eigene Anstrengung erfolgreich sein wird – also die akademische Selbstwirksamkeit der Studierenden. Farrington (2013) identifizierte vier studentische Überzeugungen, die ein erfolgreiches mentales Mindset erzeugen und daher von Lehrenden unterstützt werden sollten:

  • Ich gehöre in diese wissenschaftliche Gemeinschaft (community).
  • Ich kann hier erfolgreich sein.
  • Meine Fähigkeiten und Kompetenzen wachsen mit meinem Einsatz und meiner Anstrengung.
  • Diese Arbeit ist wertvoll für mich.

Vom ersten Tag an sollten Lehrende den Wert und die Bedeutung eines Kurses für die Studierenden aufzeigen. Die Inhalte können beispielsweise für einen späteren Beruf, die allgemeine Bildung oder andere Fächer relevant sein. Das Aufzeigen der Relevanz von Inhalten fördert die Selbstwirksamkeit und die Motivation der Studierenden. Ebenfalls positiv auf die akademische Selbstwirksamkeit wirkt sich formatives Assessment aus, da es das Kompetenz-Erleben und den Lernerfolg von Studierenden beeinflusst.

2. Metakognition und Selbstregulation

Für den Lernerfolg im Studium ist eigenständiges Lernen entscheidend. In solchen Selbstlernphasen müssen Studierende die eigene kognitive Verarbeitung von Wissen und ihr Lernverhalten erfolgreich regulieren und kontrollieren. Das fällt vielen oftmals schwer. Studierende schieben Lernhandlungen gerne auf (Prokrastination; Fentaw, Moges & Ismail, 2022) oder halten das Lernen nicht lange genug durch, um den Lernstoff wirklich verinnerlichen und verstehen zu können. Zudem überprüfen sie die Qualität ihres Lernens oft zu wenig. Die Quantität (Lernzeit, Stoffumfang) mag manchmal hoch sein, aber die Lernqualität ist nicht ausreichend, um wirklich erfolgreich zu sein. Durch Kontrollfragen in einer Aufgabenstellung können Lehrende ihre Studierenden immer wieder dazu auffordern bzw. ermuntern, das eigene Lernen zu überprüfen und ggf. anzupassen. Studierende sollten Auskunft über ihren Lernprozess und ihr Vorgehen beim Lernen geben. Dadurch können Lehrende frühzeitig uneffektives Lernverhalten identifizieren und durch entsprechendes Feedback den Studierenden helfen, ihr Lernen anzupassen. Ebenso können häufige, kleine Praxistests Studierenden immer wieder Rückmeldung darüber geben, wo sie stehen und ob ihr aktuelles Vorgehen beim Lernen erfolgreich ist.

3. Angst und Misstrauen

Wenn Studierende Angst vor einem Kurs haben oder ihren Lehrenden misstrauen, dann wirkt sich das negativ auf den Lernprozess und somit auf den Lernerfolg aus. Angst und Misstrauen führen oft zu Missverständnissen und zu Problemen in der Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden. Studierende können beispielsweise manchmal die Ziele eines Kurses nicht nachvollziehen, verstehen die Entscheidungen für bestimmte Methoden nicht oder bezweifeln die Anforderungen, die ein Kurs an sie stellt. So kann keine Atmosphäre entstehen, die ein erfolgreiches Lernen ermöglicht. 

Um das zu vermeiden, sollten Lehrende von Anfang Vertrauen schaffen, indem sie zeigen, dass sie kompetent in den Kursthemen sind. Außerdem ist es wichtig, dass sie integer auftreten, also zuverlässig und verantwortungsbewusst handeln sowie fair sind. Ebenso ist es von Bedeutung, dass Lehrende zeigen, wie wichtig die individuelle Entwicklung der Studierenden ist. Sie wählen dementsprechend die Aufgaben aus und stellen Ressourcen und Hilfe zur Verfügung (Chew & Cerbin, 2020). 

4. Unzureichendes Vorwissen

Vorwissen bildet das Fundament, auf dem neues Wissen aufbauen kann. Wenn dieses Fundament nicht ausreichend stabil ist, wackeln neue Wissensbausteine und es entstehen schnell Lücken. Das führt unweigerlich zu Lernschwierigkeiten. Leider bereitet sich ein Großteil der Studierenden nicht oder nur mäßig (NSSE 2016, 2017, zitiert nach Chew & Cerbin, 2020) auf die nächsten Lehrveranstaltungssitzungen vor, sodass Wissenslücken schnell größer werden und auch vor Klausuren nicht mehr geschlossen werden können. Online-Quizzes und Fragestellungen, die zur Vorbereitung bearbeitet und abgegeben werden müssen, unterstützen Studierende bei einer regelmäßigen Vorbereitung. Oft reicht ein gewisser sozialer Druck aus, damit Studierende sich vorbereiten.

5. Fehlvorstellungen

Wenn das studentische Vorwissen Informationslücken und -ungenauigkeiten aufweist, kommt es schnell zu Missverständnissen und falschen Annahmen, die teilweise nur schwer wieder zu korrigieren sind. Mit Hilfe von diagnostischen Tests können Lehrende diese falschen Annahmen identifizieren und im Kurs ansprechen. Allerdings können das bloße Präsentieren der “richtigen” Informationen die Missverständnisse nicht immer aus der Welt schaffen (Taylor & Kowalski, 2014). Studien untersuchen verschiedene Lehrmethoden, die Missverständnissen entgegenwirken können. Die Predict-Observe-Explain-Methode (POE) ist eine dieser Methoden.

6. Ineffektive Lernstrategien

Studierende neigen dazu, bereits bekannte Lernstrategien anzuwenden, unabhängig davon, ob sie für das Verstehen des aktuellen Lernstoffs geeignet sind. Das beeinflusst natürlich negativ den Lernerfolg und führt zu schlechteren Leistungen. 

Lehrende haben zwei Möglichkeiten mit diesem Problem umzugehen: 

  1. Sie können den Studierenden direkt effektive Lernmethoden vermitteln und aufzeigen oder 
  2. sie integrieren die Umsetzung effektiver Lernstrategien in das Kursgeschehen, indem sie entsprechende Aufgabenstellungen entwickeln. 

Ein Beispiel dafür sind regelmäßige Praxistests von neuem Wissen und die Wiederholung dieses Wissens in immer größer werdenden zeitlichen Abständen (Dunlosky & Rawson, 2015).

7. Lerntransfer

Ein wichtiges, aber auch schwieriges Ziel ist es, dass Studierende erlerntes Wissen auf neue Problemstellungen anwenden können. Oftmals bleibt das Wissen träge und kann nur in dem Kontext abgerufen werden, indem es erlernt wurde. Gute Prüfungsergebnisse sind leider kein Anzeichen dafür, dass ein sogenannter Lerntransfer stattgefunden hat. Lehrende sollten daher ihre Lehre entsprechend praxisnah durch viele authentische Lösungsbeispiele gestalten. Studierende sollten außerdem eine aktive Rolle übernehmen, indem sie ihren Lernprozess mitgestalten und bei der Konstruktion und der Anwendung der Wissenselemente mitwirken (Engle et al., 2012). Des Weiteren kann durch regelmäßige kleine Anwendungstests und die Art des Feedbacks  der Transfer von Wissen gefördert werden.

8. Selektive Aufmerksamkeit

Eine ungeteilte Aufmerksamkeit ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Lernen überhaupt stattfinden kann. Studierende meinen zwar, dass sie multitasking fähig sind und während eines Kurses gleichzeitig bei social media tätig sein und sehr gut im Unterricht aufpassen können. Jedoch haben eine Reihe an Studien gezeigt, dass eine geteilte Aufmerksamkeit zu Misserfolgen und schlechten Leistungen führt (Glass & Kang, 2019). Daher müssen Ablenkungen in Lehrveranstaltungen so gering wie möglich gehalten werden.

9. Kognitive Überlastung

Wenn Studierende sich nicht uneingeschränkt auf das Erlernen neuen Wissens konzentrieren können (geteilte Aufmerksamkeit), kommt es schnell zu einer kognitiven Überlastung (extraneous cognitive load). Ebenso kann der Lerninhalt aufgrund seiner Komplexität oder Menge die kognitiven Kapazitäten von Studierenden übersteigen (intrinsic cognitive load). Nach der cognitive load theory sollte Unterricht daher so wenig wie möglich externe Ablenkungen beinhalten und Lerninhalte so aufbereitet werden, dass Studierende sie mit Vorwissen verknüpfen, aktiv erarbeiten und wiederholen können. Dann kann neues Wissen im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden. Der Blogbeitrag “Weniger ist mehr: Vier von vielen Wegen, um Cognitive Load zu reduzieren” gibt hilfreiche Tipps, unnötige kognitive Belastungen von Studierenden in Lehrveranstaltungen so gering wie möglich zu halten.

Nach Chew und Cerbin (2020) bestimmen die neun cognitive challenges gemeinsam das Lernen von Studierenden und sind gleich wichtig. Lehrende müssen sie immer alle berücksichtigen, um optimales Lernen zu fördern. Die cognitive challenges beeinflussen sich außerdem gegenseitig. Beispielsweise sind Studierende mit hohem Vorwissen in einer Materie oft erfolgreich in ihrem Lernprozess, u.a. auch deshalb, weil sie erfolgreiche Lernstrategien anwenden. Ihre Lernstrategien sind aber für Studierende mit wenig Vorwissen möglicherweise nicht so effektiv. Es gibt daher keine Einzelstrategie guter Lehre, die für alle Studierenden, jedes Thema oder jede Lernsituation passt. Daher muss Lehre flexibel sein und Lehrmethoden kontinuierlich überprüft und angepasst werden.


Literatur

Chew, S. L. & Cerbin, W. J. (2020). The cognitive challenges of effective teaching, The Journal of Economic Education, 52(1), 17-40. https://doi.org/10.1080/00220485.2020.1845266

Dunlosky, J., & Rawson, K. A. (2015). Practice tests, spaced practice, and successive relearning: Tips for classroom use and for guiding students’ learning. Scholarship of Teaching and Learning in Psychology, 1 (1), 72–78. https://doi.org/10.1037/stl0000024

Engle, R. A., Lam, D. P., Meyer, X. S., & Nix, S. E.(2012). How does expansive framing promote transfer? Several proposed explanations and a research agenda for investigating them. Educational Psychologist, 47 (3), 215–231. https://doi.org/10.1080/00461520.2012.695678

Farrington, C. A. (2013). Academic mindsets as a critical component of deeper learning. Chicago, IL: University of Chicago, Consortium on Chicago School Research. https://www.howyouthlearn.org/pdf/White_Paper_

Academic_Mindsets_as_a_Critical_Component_of_Deeper_Learning_Camille_Farrington_April_20_2013.pdf.

Fentaw, Y., Moges, B. T., & Ismail, S. M. (2022). Academic Procrastination Behavior among Public University Students. Education Research International, 5, 1-8. https://doi.org/10.1155/2022/1277866

Glass, A. L., and M. Kang. 2019. Dividing attention in the classroom reduces exam performance. Educational Psychology, 39 (3), 395–408. https://doi.org/10.1080/01443410.2018.1489046

Taylor, A., & Kowalski, P. (2014). Student misconceptions: Where do they come from and what can we do? In V. A. Benassi, C. E. Overson & C. M. Hakala, (Eds), Applying science of learning in education: Infusing psychological science into the curriculum, (pp. 259–273). Washington, DC: Society for the Teaching of Psychology. https://teachpsych.org/ebooks/asle2014/index.php.


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Rottmeier, S (2023, 04. Mai).  9 Hindernisse für effektive Lehre. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20230504.DE

Stephanie Rottmeier
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Dr. Stephanie Rottmeier is a research assistant at the Centre for University and Academic Teaching (ZHW) at the University of Regensburg. She supports and advises lecturers with regard to the didactic design of lectures and seminars. Her focus here is on the themes of self-regulated learning, particularly the digital organisation of self-learning phases, and students’ motivation to learn.