Mit einer Lehrphilosophie reflektieren Sie in strukturierter Weise Ihr Lehrverhalten. Diese Reflexion ist ein wesentlicher Punkt zur Entwicklung von Lehrexpertise. Gleichzeitig dient sie der Darstellung der eigenen Lehrkompetenz nach außen (z.B. in Bewerbungsverfahren). Welche Aspekte von Lehre dabei wichtig sind und wie diese theoretisch fundiert reflektiert werden können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Erfahrung ist eine wesentliche Grundlage von Expert:innen aller Domänen – auch in der Lehre. Als grobe Faustregel kann davon ausgegangen werden, dass der Aufbau von Expertise ungefähr zehn Jahre dauert.
Dabei ist jedoch keinesfalls gewährleistet und selbstverständlich, dass eine langjährige berufliche Erfahrung auch tatsächlich zu Expertise führt. Wesentliche Voraussetzung ist vielmehr, dass die eigene Erfahrung reflektiert und so für zukünftige Anwendungsszenarien nutzbar wird. Gruber (2021) spricht daher sogar von Reflexion als dem „Königsweg zur Expertiseentwicklung“.
Die Reflexion kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Geeignet ist dabei jede Methode, in der das eigene Vorgehen gezielt auf seine theoretische Fundierung und/oder Wirksamkeit hin überdacht wird. Eine besonders effektive Weise zur Reflexion ist das Schreiben einer Lehrphilosophie.
Was ist eine Lehrphilosophie?
In einer Lehrphilosophie setzen Sie sich mit Ihren Einstellungen und Haltungen zur Hochschullehre auseinander und beschreiben Ihre eigene Rolle als Dozent:in. Gleichzeitig stellen Sie Ihre Qualitäten und Prioritäten dar und analysieren Ihren Umgang mit Problemen und kritischen Rückmeldungen. Sie skizzieren, was Ihnen bei Ihrer Lehre wichtig ist und wie Sie die Lernprozesse von Studierenden unterstützen.
Die Lehrphilosophie ist ein sehr individuelles Dokument. Entsprechend existiert kein standardisierter Aufbau, der zwingend einzuhalten ist. Einige Universitäten legen verbindlich fest, was eine Teaching Philosophy enthalten soll. Beispiele hierfür sind die Cornell University, die University of Minnesota oder die Ohio State University. An der Universität Regensburg orientieren wir uns an den Anforderungen zur Bewerbung für ein Fellowship bei der der Higher Education Academy in Großbritannien und empfehlen folgenden Aufbau:
- Sie skizzieren zunächst kurz Ihren Lehrkontext,
- beschreiben dann Ihre Grundeinstellung bezüglich Ihrer Lehre und
- reflektieren, was wesentliche und typische didaktische Elemente Ihrer Lehre sind.
Lehre im Kontext beschreiben
Beginnen Sie Ihre Lehrphilosophie, indem Sie den Lehrkontext beschreiben, in dem Sie tätig sind. Damit setzen Sie für die Leser:innen den Rahmen, in dem Ihre Lehrtätigkeit stattfindet. Interessant sind dabei z.B. folgende Fragen:
- Welches Fachgebiet unterrichten Sie?
- Seit wann sind Sie in der Lehre tätig?
- An welche Zielgruppe richten sich Ihre Lehrveranstaltungen?
- Halten Sie eher Vorlesungen, Seminare, Übungen? Wie viele Teilnehmer:innen haben Sie dabei üblicherweise?
- Wie sind Ihre Veranstaltungen in ein größeres Curriculum eingebettet?
- Für welche Teile der Veranstaltung sind Sie alleine verantwortlich? Wo teilen Sie ggf. die Verantwortung mit Kolleg:innen?
Kurzum: Geben Sie hier den Leser:innen alle Informationen, damit sich Außenstehende ein Bild von den Rahmenbedingungen Ihrer Lehrveranstaltungen machen können.
Die Grundeinstellung zur Lehrtätigkeit darstellen
Weiterer Teil der Lehrphilosophie ist es, dass Sie sich als Lehrperson beschreiben und reflektieren. Dabei skizzieren Sie ihre Haltung als Lehrperson und Ihre Grundeinstellung zur Lehrtätigkeit.
Sie stellen dabei dar,
- was Ihnen in Ihrer eigenen Lehre wichtig ist,
- worauf Sie im Umgang mit Studierenden Wert legen,
- was Ihnen an Ihrer Lehrtätigkeit gefällt und was Sie selbst motiviert.
Bei dieser Grundeinstellung gibt es kein richtig oder falsch. Ein expliziter Bezug zu einer Lerntheorie kann dabei hergestellt werden, ist aber nicht zwingend notwendig. Es geht vielmehr darum, dass Sie sich und Ihre persönlichen Einstellungen beschreiben.
Die eigene Lehrtätigkeit reflektieren
Nun kommen wir zum Kern einer Lehrphilosophie: Sie reflektieren Ihre eigene Lehrtätigkeit. Dabei sind zwei Fragen wesentlich.
- Was verstehen Sie unter guter Hochschullehre?
- Wie setzen Sie Aspekte von Lehrqualität in Ihren Lehrveranstaltungen um?
Die Frage nach der Lehrqualität kann vor dem Hintergrund verschiedener Lehr-Lern-Theorien beantwortet werden. Da Lehre in der Praxis in der Regel selten dogmatisch nach einer theoretischen Ausrichtung erfolgt, ist es schwierig, sich auf eine spezielle Theorie zu stützen. Als hilfreicher haben sich dazu Meta-Analysen zu verschiedenen Aspekten von Lehrqualität erwiesen. Van Dijk et al. (2020) beispielsweise haben im Rahmen einer Studie mit dem Titel UNIversity Teacher Expertise (UNITE) sechs verschiedene Bereiche identifiziert, die Lehrexpertise beschreiben (s. Abbildung 1, links). Der Grad der Lehrexpertise wächst mit der Qualität der Aufgabenerfüllung, der Vielfalt der ausgeführten Aufgaben und des Einflussbereichs auf andere (s. Abbildung 1, rechts).
Drei dieser Bereiche betreffen unmittelbar die Lehrtätigkeit:
- Den Lernprozess der Studierenden unterstützen: Wie leiten Sie Lernprozesse und wie gestalten Sie die Interaktion mit Studierenden, um die Lernziele zu erreichen?
- Lernumgebungen gestalten: Wie verbinden Sie Ziele, Inhalte, Aktivitäten und Materialien zu einer kohärenten Lernumgebung?
- Prüfen und Feedback geben: Wie erhalten die Studierenden formatives oder summatives Feedback über ihren Lernfortschritt?
Jeder Bereich wiederum beschreibt verschiedene konkrete Aufgaben. Van Dijk et al. (2020, Appendix C) verdeutlichen diese Aufgaben mit konkreten Beispielen. Abbildung 2 zeigt exemplarisch zwei dieser Aufgabenbeschreibungen.
Ein erster Schritt zur Reflexion besteht darin zu überlegen, ob und in welchem Ausmaß Sie die einzelnen Kriterien erfüllen. Ein Brainstorming mit Hilfe eines Reflexionsbogens hat sich in den Workshops des ZHW bewährt, um das eigene Lehrverhalten entlang der einzelnen Dimensionen zu skizzieren.
In einem zweiten Schritt sollten dann die gefundenen Punkte gewichtet werden. Was ist für Ihre Lehre besonders typisch? Was charakterisiert Ihr Lehrverhalten? Oder auch: Woran möchten Sie künftig besonders arbeiten?
Für eine Lehrphilosophie ist es in der Regel ausreichend, sich auf drei bis vier zentrale Punkte zu beschränken. Es geht nicht darum, ein vollständiges Bild Ihres Lehrverhaltens zu zeichnen. Es ist vollkommen ausreichend, zentrale Aspekte Ihres Lehrverhaltens zu fokussieren, damit (gedachte oder tatsächliche Leser:innen) Ihrer Lehrphilosophie einen authentischen Einblick in Ihre Lehre erhalten. Wichtig ist jedoch, die einzelnen Aspekte nicht nur deskriptiv zu schildern (wer hat wann, was und wie getan?), sondern reflexiv zu betrachten.
Reflexives Schreiben
Wenn Sie Ihr eigenes Lehrverhalten reflexiv beschreiben, geht dies über die reine Darstellung Ihres Lehrverhaltens hinaus. Wesentliches Element ist hier, vergangene Situationen zu interpretieren und für zukünftige Situationen nutzbar zu machen. Es verbindet den Rückblick und die Analyse vergangener Situationen mit einem Ausblick auf zukünftiges Verhalten. Das folgende Video zeigt, worauf Sie beim reflexiven Schreiben achten sollten.
Wichtig ist, dass Sie jeweils konkrete Beispiele anführen, wie Lehre bei Ihnen wirklich aussieht. Dadurch geben Sie den Leser:innen einen authentischen Einblick in Ihre Lehre. Geben Sie hier gerne auch Beispiele dafür an, welches Unterrichtsmaterial Sie entwickelt haben oder welche innovativen Lehrmethoden Sie einsetzen. Und vergessen Sie nicht, bei der Reflexion zu beachten, welche Schlüsse Sie aus den erlebten Erfahrungen für die Zukunft ziehen. Sie erinnern sich: Reflexives Schreiben folgt dem DIEP-Modell (Burnie, 2020)
D – describe
I – interprete
E – evaluate
P – plan.
Alle, die mehr über das Schreiben einer Lehrphilosophie erfahren möchte, laden wir herzlich ein, unseren Online-Workshop am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik zu besuchen.
Literatur
Burnie, M. (2020, August 10). Reflective writing. Students. https://students.unimelb.edu.au/academic-skills/explore-our-resources/developing-an-academic-writing-style/reflective-writing
Gruber, H (2021). Reflexion. Der Königsweg zur Expertise-Entwicklung. https://doi.org/10.25656/01:22111
van Dijk, E. E., van Tartwijk, J., van der Schaaf, M. F., & Kluijtmans, M. (2020). What makes an expert university teacher? A systematic review and synthesis of frameworks for teacher expertise in higher education. Educational Research Review, 31, 100365. https://doi.org/10.1016/j.edurev.2020.100365
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B. (2022, 2. Juni). Ich lehre, also bin ich – eine Lehrphilosophie entwickeln und schreiben. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20220602.DE
Birgit Hawelka
Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.
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