Constructive Alignment

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie leiten eine Lehrveranstaltung, erklären alle Begriffe sorgfältig und stellen wöchentlich Lernmaterial für Ihre Studierenden zur Verfügung. Einige Studierende sind stets gut vorbereitet und bringen Fragen mit in die Veranstaltung. Andere lernen scheinbar nur das Nötigste. Woran liegt das? Und was können Sie tun, damit möglichst viele Studierende vertieft lernen? Ein Lösungsansatz heißt: Constructive Alignment.

In der Einleitung wurde ein Beispiel beschrieben, das in der Praxis wohl recht häufig vorkommt: Einige Studierende setzen sich scheinbar ganz von selbst intensiv mit dem Lernstoff auseinander. Sie arbeiten aktiv mit, stellen Fragen und versuchen, Querverbindungen zwischen den einzelnen Themen herzustellen. Andere verfolgen einen oberflächlichen Ansatz: Sie sammeln nur die Wissensbausteine, die für das Bestehen der Prüfung unbedingt wichtig sind.

Wie Sie sich diese Tatsache erklären, hängt zum großen Teil davon ab, welches Verständnis von Lehren und Lernen Sie zugrunde legen. Biggs & Tang (2011) unterscheiden hier verschiedene Ebenen:

Ebene 1: Fokus auf die Studierenden

Lehrende sehen Lernerfolg hauptsächlich als Ergebnis individueller Eigenschaften der Studierenden. Gute Studierende wenden vertiefte Lernstrategien an, weil sie motiviert, intelligent und fleißig sind. Andere hingegen sind weniger erfolgreich, weil ihnen die nötigen Fähigkeiten fehlen oder weil sie sich nicht genügend anstrengen. Biggs & Tang (2011) nennen dieses Erklärungsmuster “blame the student”.

Ebene 2: Fokus auf die Lehrenden

Auf dieser Ebene gehen Lehrende davon aus, dass es in ihrer Verantwortung liegt, so zu unterrichten, dass alle Studierenden am Ende die gewünschten Ergebnisse zeigen. Misserfolge sind demnach die Konsequenzen fehlerhaften Lehrverhaltens. In der Folge versuchen Lehrende, z.B. Vortragsfolien zu verbessern oder Vorträge humorvoll anzureichern. Diese Sichtweise wird daher auch “blame the teacher” genannt.

Ebene 3: Fokus auf den Lernprozess der Studierenden

Eine dritte Ebene fokussiert den Lernprozess der Studierenden. Aus dieser Sicht ist es ein Qualitätsmerkmal guter Lehre, eine Lernumgebung so zu gestalten, dass sie geeignete Aktivitäten von Studierenden fördert. Studierende lernen möglicherweise deshalb oberflächlich, weil nicht explizit kommuniziert wurde, was genau von ihnen erwartet wird. Oder auch deshalb, weil sie ein extrinsisches Ziel – das Bestehen einer Prüfung – auch dann erreichen, wenn sie sich lediglich rudimentär mit dem Lernstoff auseinandersetzen.

Die Lösung: Constructive Alignment

Biggs und Tang (2011) bieten eine Lösung an, um tiefes Verarbeiten von Lerninhalten zu fördern: Constructive Alignment. In diesem Begriff stecken zwei Aspekte. Der Begriff constructive bezieht sich auf eine konstruktivistische Sichtweise von Lernen. Diese Herangehensweise geht von der Annahme aus, dass Begriffe, Bedeutung, Strukturen und Handlungskonzepte nicht wie beim “Nürnberger Trichter” von Lehrenden auf Studierende übertragen werden können. Vielmehr konstruieren Studierende Wissen erst durch relevante Lernaktivitäten. Aus dieser Perspektive ist Lehren ein Katalysator für Lernen.

Das Prinzip des alignment bedeutet, dass Lernziele, Lehr- und Lernaktivitäten sowie Prüfungen kohärent aufeinander abgestimmt werden (s. Abbildung 1).

kohärente Abstimmung von Lernzielen, Lehr-Lernaktivitäten, Prüfungen
Abbildung 1: Abstimmung zwischen Lernzielen, Lehr-Lernaktivitäten und Prüfungen

Planung universitärer Lehre nach dem Constructive Alignment erfolgt in drei Schritten:

Schritt 1: Lernziele definieren

Effektive Lerneinheiten werden vom Ziel her gedacht (Wiggins & McTighe, 2005). Die erste Aufgabe bei der Planung von Lerneinheiten ist es daher, festzulegen, was Studierende am Ende können sollen. Eine präzise Definition von Lernzielen bedeutet keinesfalls, dass Studierende nicht darüber hinaus weitere Ziele erreichen können und sollen. Sie fokussieren vielmehr die wichtigsten Kernkompetenzen, über die Studierende am Ende einer Lerneinheit verfügen sollen. Der Beitrag “Vom Wissen zum Können: Lernziele definieren” gibt Hilfestellungen, wie Sie Lernziele für ein breites Spektrum akademischer Kompetenzen definieren können.

Schritt 2: Prüfung planen

Im nächsten Schritt legen Sie fest, woran Sie und auch die Studierenden selbst erkennen können, dass das Lernziel erreicht wurde. Wesentlich ist dabei, dass Studierende bereits während des Semesters über formative Tests einen Einblick bekommen, welche Kompetenzen von ihnen erwartet werden. Nur so können diese selbst feststellen, in welchen Punkten sie sich noch verbessern können und müssen und ihren Lernprozess entsprechend anpassen.

Damit solche Prüfungen lernwirksam werden, ist es wichtig, dass die Prüfungen auch tatsächlich testen, ob und in welchem Maß die Lernziele erreicht wurden. Wenn ein Lernziel ist, verschiedene Theorien miteinander in Verbindung zu setzen, es in der Prüfung aber ausreicht, Fakten wiederzugeben, dann werden einige Studierende vermutlich nicht mehr Aufwand investieren, als eben diese Kompetenz zu zeigen.

In traditionellen Prüfungsformen steht die Forderung nach einer stärkeren Kompetenzorientierung häufig im Widerspruch zur Handhabbarkeit oder Ökonomie von Prüfungen (Schaper, 2024). Ein Portfolioansatz (Biggs & Tang, 2011), bei dem Studierende selbst auswählen, welche ihrer Arbeiten ihre Leistungen am besten darstellen, könnte eine Lösung sein. Dieser Ansatz ermöglicht es, dass verschiedene Lernaktivitäten sichtbar werden – nicht nur die, die von Dozierenden vorgegeben werden.

Schritt 3: Lernaktivitäten auswählen

Abschließend werden die Lehr- und Lernaktivitäten so geplant, dass sie den Studierenden helfen, diese Ziele zu erreichen. Studentische Aktivitäten wie Zuhören und Mitdenken sind gut geeignet, um Begrifflichkeiten zu erfassen oder einen ersten Einblick in verschiedene Zusammenhänge zu erhalten. Aktive Lernformen wie Diskussionen, Gruppenarbeiten und Projektarbeiten können Lernende dazu anregen, tiefer über den Stoff nachzudenken und ihn anzuwenden.

Unabhängig vom Lehrformat konfrontieren effektive Lehrpersonen ihre Studierenden mit wichtigen Problemen, authentischen Aufgaben, die sie herausfordern, sich mit Ideen auseinanderzusetzen, ihre Annahmen zu überdenken und ihre mentalen Modelle der Realität zu überprüfen (Bain, 2004). Auch die Darstellung der Relevanz des Lernstoffs für Sie als Lehrperson oder auch das Aufzeigen praktischer Anwendungsfelder sind zwei von vielen weiteren Möglichkeiten, wie es gelingen kann, Studierende stärker zur vertieften Auseinandersetzung mit einem Lernstoff anzuregen. Manchmal ist Motivation nicht nur eine Voraussetzung, sondern auch das Resultat von Lernprozessen.

Constructive Alignment in der Praxis

In der Praxis sind diese drei Schritte nicht immer einfach umzusetzen, denn: Welche Lehrmethoden sind geeignet, um bestimmte Lernziele zu erreichen? Wie können Prüfungen auch in traditionellen Systemen so gestellt werden, dass sie möglichst valide die Lernziele überprüfen?  Atkinson (2022) bietet auf seiner Webseite gute Anhaltspunkte, welche Lehrmethoden und Prüfungsformen geeignet sind, um universitäre Lernziele auf verschiedenen Kompetenzstufen zu erreichen.

KI kann unterstützen

Wenn es um die Förderung und Prüfung von kognitiven Verständnisprozessen geht, kann auch Künstliche Intelligenz eine hilfreiche Unterstützung sein.

In der Praxis ist es ein häufig formuliertes Ziel, dass Studierende bestimmte Inhalte verstehen. Was zunächst banal und selbstverständlich klingt, birgt eine zentrale Frage der Hochschullehre: Woran ist erkennbar, ob ein Lernstoff verstanden wurde? Die Antwort wird vermutlich je nach Expertisegrad der Befragten unterschiedlich ausfallen. Um den Begriff “Verstehen” für Lehrzwecke fassbarer zu machen, unterscheiden Biggs und Collins (1982) mit der SOLO-Taxonomie (Structure of the Observed Learning Outcome) unterschiedliche Verständnis-Tiefen.

Stufen der SOLO-taxonomie
Abbildung 2: Stufen der SOLO-Taxonomie

Auf Stufe 1 (einstrukturell) konzentrieren sich Lernende auf einen einzelnen Aspekt der Aufgabe oder des Themas. Sie können einen Fakt nennen oder ein einzelnes Konzept beschreiben, ohne es in einen größeren Zusammenhang zu stellen. In der nächsten Stufe (mehrstrukturell) identifizieren Lernende mehrere relevante Aspekte des Themas, sehen diese jedoch als weitgehend unabhängige und unverbundene Einheiten. Ab der dritten, relationalen Stufe verändert sich Wissen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Lernende erkennen, wie verschiedene Aspekte des Themas miteinander verbunden sind und können diese in einen Kontext setzen. Erst in der letzten Stufe (erweiterte Abstraktion) sind Lernende in der Lage, erworbenes Wissen zu verallgemeinern und das Gelernte auf unbekannte Situationen zu übertragen, Hypothesen zu entwickeln und abstrakte Prinzipien zu formulieren.

Mit Hilfe der Anwendung PPT to SOLO Taxonomy Tasks (aieducator.tools) können Lehrende Aufgaben auf allen Kompetenzstufen der SOLO-Taxonomie mit wenigen Klicks erstellen.

Laden Sie einfach eine thematisch passende Datei (z.B. die Folien einer Vorlesung) hoch und geben Sie einen einfachen Prompt ein, z.B. “Erstelle Übungsaufgaben zu den hochgeladenen Folien”. Innerhalb von Sekunden liefert die Anwendung passende Aufgaben. Diese können Sie z.B. als Übungen für Selbstlernphasen bereitstellen oder als Anreiz für Aktivierungen oder Diskussionen in Präsenzveranstaltungen nutzen.

Mit dem zusätzlichen Prompt wie z.B. “Schreibe ausführliche Kriterien zu den Aufgaben, mit denen die Antworten bewertet werden können” verwandeln Sie die Aufgaben in formative oder summative Prüfungsaufgaben. Die mitgelieferten Kriterien zur Bewertung erleichtern erheblich die Korrektur.

Auch wenn solche Tools ausgesprochen hilfreich sind – eine klare Forschungsgrundlage, die Lehr- und Lernaktivitäten direkt mit bestimmten Lernzielen verknüpft, fehlt weitgehend. Wichtiger als die Wahl einer bestimmten Lehrmethode ist es, wie gut die gewählte Methode umgesetzt wird (Renkl, 2015). In der Praxis ist dies oft eine Frage der Erfahrung und des Urteilsvermögens der Lehrperson. Laufende Evaluation der Lernprozesse (z.B. mit Teaching Analysis Poll) oder eine intensive Reflexion des eigenen Lehrverhaltens helfen dabei, kontextspezifisch die Lernprozesse der Studierenden zu verstehen und zu fördern.

Literatur

Atkinson, S.P. (2022). Writing Good Learning Outcomes and Objectives. Sijen Education.

Bain, K. (2004). What the best college teachers do. Harvard University Press.

Biggs, J., & Tang, C. (2011). Teaching For Quality Learning At University. McGraw-Hill Education.

Renkl, A. (2015). Drei Dogmen guten Lernens und Lehrens: Warum sie falsch sind. Psychologische Rundschau, 66(4), 211–220. https://doi.org/10.1026/0033-3042/a000274

Schaper, N. (2021). Prüfen in der Hochschullehre. In R. Kordts-Freudinger, N. Schaper, A. Scholkmann, & B. Szczyrba, Handbuch Hochschuldidaktik. (S. 87 – 101). UTB.

Wiggins, G. P., & McTighe, J. (2005). Understanding by design. ASCD.

Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags

Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags:

Hawelka, B. (2024, 14. November). Constructive Alignment. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20241114.DE


Birgit Hawelka
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Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.