Wir bewegen kluge Köpfe – Bewegte Pausen in der Lehre für mehr Konzentration, Spaß und Gesundheit

Sicherlich kennen die meisten von Ihnen die Situation sehr gut: Nach stundenlangem Sitzen am Schreibtisch oder im Hörsaal geht einfach gar nichts mehr und Körper und Geist sind auf Sparflamme. Der Rücken ist rund, der Kopf schmerzt und die Konzentration ist im Eimer. Wussten Sie aber, dass langes Sitzen unsere Gesundheit nicht nur kurzfristig beeinträchtigt, sondern auch auf lange Sicht krank machen kann? Und dass die meisten von uns viel zu viel Zeit mit Sitzen verbringen? In diesem Blogbeitrag erklären wir, warum langes Sitzen krank macht und warum bewegte Pausen wichtig sind.

Wir sitzen – überall und viel zu lange

Wir sitzen und sitzen und sitzen: morgens beim Frühstücken, im Auto oder im Bus auf dem Weg zur Uni, am Schreibtisch, im Hörsaal oder im Seminarraum, in der Mensa, auf dem Weg nach Hause und abends am Esstisch und auf dem Sofa. Rund acht bis zehn Stunden pro Tag verbringen Erwachsene mit Sitzen. Eine Befragung bei 3756 Studierenden der Universität Regensburg hat diese Zahlen bestätigt (Weber et al., 2023). So verbringen Studierende etwa die Hälfte ihrer täglichen Sitzzeit (also rund vier Stunden pro Tag) sitzend an der Uni. Damit gehören sie – so wie viele Menschen mit einem höheren Bildungsniveau – zu den Vielsitzer:innen unserer Gesellschaft.

Lassen Sie doch Ihren letzten Arbeitstag mal vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren und denken Sie an jede Sitzgelegenheit, die Sie wahrgenommen haben: unterwegs, in der Uni und zu Hause. Wo und wie lange haben Sie heute schon gesessen? Vermutlich fallen Ihnen deutlich mehr sitzende Alltagsmomente ein als Ihnen vorher bewusst waren, oder?

Wer länger sitzt, ist früher tot

Warum nun eigentlich die Fragerei nach dem langen Sitzen? Sitzen kann ja durchaus gemütlich sein. Und schließlich haben wir alle seit unseren frühen Schuljahren das lange Stillsitzen ausgiebig einstudiert – und über die Risiken und Nebenwirkungen des langen Sitzens hat uns dabei auch niemand informiert. Kein Wunder, denn „sedentäres Verhalten“ – so lautet der Fachbegriff für sitzendes Verhalten bei niedrigem Energieverbrauch – ist ein relativ junges Forschungsfeld.

Daher wissen bislang viele Menschen nicht, dass langes und ununterbrochenes Sitzen ein Risiko für die Gesundheit darstellt. Wer länger sitzt, ist früher tot – so heißt es manchmal. Und das stimmt sogar! Denn Menschen, die viel sitzen, haben ein höheres Risiko, früher zu versterben als Menschen, die weniger Zeit mit Sitzen verbringen. Vor allem aber kann langes Sitzen krank machen: Es erhöht das Risiko, an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebserkrankungen zu erkranken. Dazu forscht auch ein Team aus Wissenschaftler:innen am Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin der Universität Regensburg. Sie haben herausgefunden, dass das Risiko, an Krebs der Gebärmutterschleimhaut oder der Eierstöcke zu erkranken, bei Vielsitzer:innen um rund 30 Prozent erhöht ist (Hermelink et al., 2022). Auch das Darmkrebsrisiko ist bei vielsitzenden Frauen und Männern deutlich erhöht.

Schützt Sport vor den Gefahren durch langes Sitzen?

Wenn Sie sich nun auf der sicheren Seite wähnen, weil Sie zweimal pro Woche zum Trainieren ins Fitnessstudio gehen (oder sitzend mit dem Auto hinfahren?!), müssen wir Sie leider enttäuschen. Zwar ist jegliche Bewegung und sportliche Aktivität gut für die Gesundheit, aber gerade bei Vielsitzer:innen reicht in der Regel das Maß an Bewegung nicht aus, um die negativen Folgen des langen Sitzens zu kompensieren (Ekelund et al., 2019). Wer acht Stunden am Tag oder länger sitzt, müsste mindestens eine Stunde pro Tag körperlich ins Schwitzen kommen, um den gesundheitlichen Gefahren durch langes Sitzen effektiv entgegenzuwirken. Einfacher als jeden Tag eine Stunde Dauerlauf unterzubringen, ist es wohl, im Alltag das Sitzen häufiger zu unterbrechen.

Eine Frau macht Dehnübungen am Arbeitsplatz

Weniger (Still-)Sitzen und mehr Bewegung: Tipps und Tricks für den Uni-Alltag

Möglichkeiten, das lange Sitzen im Uni- bzw. Arbeitsalltag häufiger zu unterbrechen, gibt es viele (Jochem & Leitzmann, 2018). Sie können beispielsweise Tätigkeiten wie Telefonieren oder Lesen durchaus im Stehen oder im Herumlaufen durchführen. Probieren Sie es einfach einmal aus! Scheuen Sie sich auch nicht davor, Ihren Kolleg:innen einmal ein Steh- oder Geh-Meeting vorzuschlagen. Manchmal hilft es auch, sich mit kleinen Mitteln selbst auszutricksen: Platzieren Sie Ihr Telefon, Ihren Papierkorb oder was Sie sonst sehr häufig nutzen so weit entfernt, dass Sie nicht einfach im Sitzen danach greifen können, sondern kurz aufstehen und ein paar Schritte tun müssen, um es zu erreichen. Vielleicht können Sie auch die eine oder andere Mail an eine Kollegin oder einen Kollegen durch einen Gang in deren bzw. dessen Büro ersetzen. Nutzen Sie auch den regelmäßigen Gang, um Getränke zu holen, auf die Toilette oder zum Drucker zu gehen, als aktive Unterbrechung längerer Sitzphasen.

Wenn schon sitzen, dann möglichst dynamisch

Es gibt aber auch Situationen, da kann man das Sitzen nicht vermeiden. Beispielsweise im Hörsaal oder im Bus müssen wir aus Gründen der Sicherheit und Konvention Platz nehmen. In diesen Fällen ist es wichtig, aufrecht zu sitzen, die Sitzzeit möglichst kurz zu halten und mit Aufstehen oder Bewegung abzuwechseln. Am Schreibtisch ist eine kurze bewegte Pause nach 30 Minuten nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist angenehm. Beim Sitzen kommt es auch weniger darauf an, worauf man sitzt, sondern vor allem, wie man sitzt. „Dynamisches Sitzen“ ist hier das Zauberwort, welches häufige Positionswechsel, Gewichtsverlagerungen oder Schulterkreisen umfasst – alles, was den Körper bewegt (Starrett et al., 2016). Bürostühle, bei denen Lehne und Sitz beweglich sind, fördern dynamisches Sitzen, aber ersetzen keine echte Bewegung. Um den Büroalltag abwechslungsreich zu gestalten, eignen sich auch höhenverstellbare Schreibtische. Nach etwa 20 bis 30 Minuten sollte man von einer sitzenden in eine stehende Position wechseln – und umgekehrt, denn auch zu langes statisches Stehen kann gesundheitliche Nachteile haben. Allerdings ist es im Stehen viel einfacher Bewegung einzubauen, beispielsweise durch Gewichtsverlagerungen, Hüftkreisen oder Dehnübungen. Zudem wird empfohlen, einen Fuß etwas höher zu stellen, zum Beispiel auf einen Schemel, um die Wirbelsäule zu entlasten. Und noch ein Tipp: Warum setzen Sie sich zum Fernsehschauen nicht mal in Schneider- oder Lotussitz auf Boden oder Sofa? Das fördert die Beweglichkeit, stabilisiert die Wirbelsäule und verhindert, vor dem Bildschirm zu „versumpfen“.

Die Lehre: zum Stillsitzen verdammt?

Eine Kollegin sagte einmal, das Bewegungsverhalten Studierender im Unterricht sei „ganz nah an scheintot“. Und damit hat sie nicht unrecht, denn in der Lehre ist Sitzen absolut obligatorisch. In Vorlesungen und selbst in Seminaren ist häufig aufgrund der Bestuhlung oder aber der Konventionen nicht einmal dynamisches Sitzen möglich oder erwünscht, denn spätestens in der weiterführenden Schule haben wir gelernt und uns daran gewöhnt, beim Lernen zu sitzen und dies möglichst ruhig! Ertappen Sie sich manchmal dabei, wie Sie ihre Kinder ermahnen „Konzentriere dich doch mal!“, wenn sie beispielsweise beim Vokabeln lernen auf dem Stuhl herumzappeln oder die Hausaufgaben auf dem Boden liegend erledigen oder wie Sie davon ausgehen, Ihre Studierenden seien unkonzentriert, wenn sie mit dem Fuß wippen oder alle viere von sich strecken? Wir empfinden (unbewusst) konzentriertes Lernen und Bewegung als einen Widerspruch und unterstellen, dass Informationsaufnahme und -weiterverarbeitung mit einer ruhigen und sitzenden Körperhaltung einhergehen müssen.

Bewegter Unterricht fördert die Leistungsfähigkeit

Dabei gibt die Kognitions- und Lernforschung hierzu keinerlei Anlass: Vielmehr zeigen verschiedene Studien (Rupp et al., 2020; Rupp, 2022), dass bewegter Unterricht oder auch Bewegungspausen im Unterricht einen positiven Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit wie auch die akademische Produktivität haben. Dies ist nicht allzu verwunderlich, denn nach etwa 20 Minuten Frontalunterricht, wie er üblicherweise in Vorlesungen stattfindet, lassen Konzentration und Aufmerksamkeit merklich nach. Das tut weder den Studierenden gut noch Ihnen, die Sie gegen zunehmende Unruhe oder schläfrige Blicke „an-unterrichten“ müssen. Eine Bewegungspause innerhalb der Lehrveranstaltung stellt demnach auch keinen Verlust an Lehr-/Lernzeit dar, sondern Sie werden durch frische und konzentrierte Studierende belohnt, die wieder besser in der Lage sind, mitzudenken und mitzuarbeiten! Bewegung in der Lehre ist demnach sowohl Gesundheitsförderung als auch eine Optimierung der Lernleistung!

Wenngleich eine bewegte Lehre nur ein Aspekt von vielen ist, um das Setting Universität bewegungsfreundlicher und damit gesünder zu gestalten, so gibt es für bewegungsfreundliches Lehren sicherlich derzeit die meisten Beispiele aus der Praxis (Rupp et. al., 2020; Projekt FAUbewegt, 2023).

Ein Student macht auf einer Bank eine Bauchmuskelübung

Bewegungspausen in der Lehre

Die gängigste Variante besteht darin, den Unterricht durch drei- bis fünfminütige Bewegungspausen zu unterbrechen. Da nicht jede:r Dozierende sich berufen fühlt, vor seinen/ihren Studierenden Bewegungsübungen vorzuführen und vielen auch die Ideen und die Kenntnisse dazu fehlen, hat das Sportzentrum der Universität Regensburg Pausenvideos gedreht, die über die Mediathek der Universität Regensburg  abrufbar sind. Die Videos können als Link beispielsweise in Vorlesungsfolien eingebunden werden und müssen dann zur Unterbrechung des Sitzens nur noch abgespielt werden (und man muss selbst natürlich auch mitmachen, sonst hilft es nicht 😉 ).

Die Bewegungspausenvideos 1-3 sind extra in einem Hörsaal aufgenommen worden, so dass sofort ersichtlich ist, dass sie auch in engen Hörsaalbänken durchführbar sind.

Bewegungspausen sind jedoch nicht nur während der Veranstaltungen hilfreich, sondern ebenso, um beispielsweise zu Hause Lernphasen zu unterbrechen. Deshalb gibt es außerdem Videos, die sich am Schreibtisch oder auch in einem Seminarraum durchführen lassen (Videos 4-7). Alle Videos sind so gestaltet, dass es nicht erforderlich ist, Sportkleidung zu tragen.

Der Campus als Fitnessstudio

Bewegungsmöglichkeiten gibt es neben Hörsaal und Seminarraum aber auch an vielen anderen Orten auf dem Campus zu entdecken: Um darauf aufmerksam zu machen, haben Studierende des Sportzentrums an verschiedenen Orten der Universität Videos gedreht, die zeigen, wie sich Bewegung ganz einfach in den Uni-Alltag einbauen lässt. Auch diese Ideen und Videos können Sie für eine Bewegungspause in Ihren Lehrveranstaltungen nutzen: Wie wäre es, wenn Sie Ihre Vorlesung oder Ihr Seminar kurz unterbrechen und alle Teilnehmenden zu einem Treppenlauf nach draußen schicken?

Mehr Ideen für eine bewegte Lehre sowie Methoden, Bewegung und Lernprozess so zu synchronisieren, dass die eigentliche Lehre nicht unterbrochen werden muss, finden Sie auch auf der Homepage zum Studentischen Gesundheitsmanagement an der Universität Regensburg UR alive 


Literatur

Ekelund, U., Brown, W. J., Steene-Johannessen, J., Fagerland, M. W., Owen, N., Powell, K. E., Bauman, A. E., & Lee, I.-M. (2019). Do the associations of sedentary behaviour with cardiovascular disease mortality and cancer mortality differ by physical activity level? A systematic review and harmonised meta-analysis of data from 850 060 participants. British Journal of Sports Medicine, 53(14), 886–894. https://doi.org/10.1136/bjsports-2017-098963

Hermelink, R., Leitzmann, M. F., Markozannes, G., Tsilidis, K., Pukrop, T., Berger, F., Baurecht, H., & Jochem, C. (2022). Sedentary behavior and cancer–an umbrella review and meta-analysis. European Journal of Epidemiology, 37(5), 447–460. https://doi.org/10.1007/s10654-022-00873-6

Jochem, C., Leitzmann, M., & Traidl, S. (2018). Sitzstreik: Tipps und Tricks gegen die Risiken und Nebenwirkungen des Sitzens. Herder.

Projekt FAUbewegt (2023). Handbuch der bewegten Lehre. Friedrich Alexander Universität. 

Rupp, R., Dold, C., Bucksch, J., & Huneke, H.-W. (2020). Bewegte Hochschullehre: Einführung in das Heidelberger Modell der bewegten Lehre. Springer.

Rupp, R. (2022). Online-Seminare bewegt gestalten: Mit Schwung durch den Online-Marathon. Springer.

Starrett, K., Cordoza, G. & Starret, H. (2016). Sitzen ist das neue Rauchen. RIVA Verlag.

Weber, A., Kroiss, K., Reismann, L., Jansen, P., Hirschfelder, G., Sedlmeier, A. M., Stein, M. J., Bohmann, P., Leitzmann, M. F., & Jochem, C. (2023). Health-promoting and sustainable behavior in university students in germany: A cross-sectional study. International Journal of Environmental Research and Public Health, 20(7), 5238. https://doi.org/10.3390/ijerph20075238


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Jochem, C., Weber, A. & Engels, U. (2023, 18. Mai). Wir bewegen kluge Köpfe – Bewegte Pausen in der Lehre für mehr Konzentration, Spaß und Gesundheit. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/zhw/20230518.DE

Carmen Jochem

Dr. Carmen Jochem ist Medizinerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin der Universität Regensburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Lebensstilfaktoren und Krebs sowie Public und Planetary Health. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, u.a. gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Michael Leitzmann das Buch „Sitzstreik: Tipps und Tricks gegen die Risiken und Nebenwirkungen des Sitzens“ (Herder Verlag, 2018).

Uta Engels

Dr. Uta Engels ist Sportwissenschaftlerin und leitet das Sportzentrum der Universität Regensburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Hochschulsport und dem universitären Gesundheitsmanagement sowie der Frage, welche Bedeutung Bewegung für ein gesundes Aufwachsen, Lernen, Leben und Arbeiten hat. Sie ist systemische Beraterin und Trainerin für Kommunikation und motivierende Gesprächsführung, Autorin mehrerer Fachbücher und bietet Vorträge und Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen an.

Andrea Weber

Dr. Andrea Weber hat Ernährungswissenschaften und Public Health studiert. Seit 2017 forscht sie am Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin der Universität Regensburg zur fragebogen- und gerätebasierten Messung von körperlicher Aktivität, und zu den Zusammenhängen zwischen Lebensstilfaktoren und Krebsrisiko. In der NAKO Gesundheitsstudie ist sie verantwortlich für mehrere Module zur körperlichen Aktivität und Sprecherin der Expertengruppe körperliche Aktivität und Fitness.