Agiles Management hat seinen Ursprung in der Softwareentwicklung, wo es seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt wird. Heute findet es Anwendung in vielen anderen Bereichen, wie z.B. Marketing und Kundensupport. Inwieweit Hochschulen von einer agilen Herangehensweise profitieren können, werden wir im Folgenden darstellen.
Agil – Was ist das?
Agiles Projektmanagement kommt ursprünglich aus dem Bereich der Softwareentwicklung. Es wurde als Alternative zu den klassischen Ansätzen entwickelt, die viele als bürokratisch und wenig kundenorientiert empfanden. Als Basis gilt das 2001 von 17 Experten aus dem Bereich der Softwareentwicklung veröffentlichte agile Manifest. Es beinhaltet vier Werte, die eine bestimmte Kultur definieren. Einer dieser Werte ist, dass Individuen und Interaktionen Vorrang vor Prozessen und Tools haben. Aus diesen grundlegenden Werten leiteten die Unterzeichner des Manifests 12 Prinzipien ab, die seitdem als Leitlinien für eine moderne Form der Softwareentwicklung dienen (siehe Abbildung 1).
Diese Überlegungen fanden sehr schnell Anklang. Heute werden sie in vielen anderen Bereichen angewendet, insbesondere bei komplexen Projekten oder Projekten, bei denen das Projektergebnis zu Beginn nicht genau definiert werden kann (State of Agile, 2023). Denn bei Berücksichtigung agiler Prinzipien gelingt es, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und die Zusammenarbeit zu verbessern. Sehen wir uns ausgewählte agile Prinzipien (Preußig, 2020) näher an, wird das sehr gut deutlich:
- direkte Kommunikation: Das direkte Gespräch (z.B. kurze, regelmäßig stattfindende Teammeetings) wird indirekter Kommunikation (z.B. über Dokumente) vorgezogen, da es den (Informations-)Austausch erleichtert und beschleunigt.
- selbstorganisierte Teams: In Teams, die sich selbst organisieren, obliegt den Mitgliedern mehr Eigenverantwortung. Im besten Fall wird die Verantwortung gleichmäßig auf alle verteilt und es herrscht eine vertrauensvolle Form der Zusammenarbeit. Dies kann zu einer höheren (intrinsischen) Motivation führen. Die Teams haben an sich den Anspruch, sich gemeinsam weiterzuentwickeln und zu verbessern.
- enge Zusammenarbeit der Fachexperten: Die Bildung von fachübergreifenden Teams, in denen verschiedene, idealerweise alle für das Erreichen des Ziels notwendigen Expertisen vertreten sind, kann enorme Synergieeffekte liefern: Die Teammitglieder unterstützen sich gegenseitig beim Erwerb zusätzlich notwendiger Kompetenzen.
- Iteration in kurzen Zeiträumen: Ein Projekt bzw. Prozess wird in kleine Schritte aufgeteilt. Diese Schritte werden sooft wiederholt, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Durch die Kleinschrittigkeit inkl. regelmäßigen Feedbacks (auch von Kundenseite) ist ein schnelles Nachjustieren und Adaptieren an Veränderungen möglich.
- einfache Lösungen: Um Arbeiten und Prozessschritte zu vermeiden, die keinen oder nur einen sehr geringen Nutzen haben bzw. bei denen das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht stimmt, wird konsequent das Prinzip der einfachen Lösungen verfolgt.
Um diese agilen Prinzipien in der Praxis umsetzen zu können, braucht es entsprechende agile Techniken. Zu den bekanntesten gehören z. B. Task-Board (s.u.) und Planning Poker. Die meisten Techniken lassen sich mit einem gut gefüllten Moderationskoffer umsetzen. Es gibt inzwischen zudem diverse digitale Tools.
Agile Techniken an sich sind prinzipiell als Einzelaktivitäten einsetzbar. Viele von ihnen ergänzen sich gegenseitig bzw. bauen aufeinander auf. Zur Unterstützung gibt es vordefinierte, rahmende Strukturen für agile Arbeitsprozesse, die die einzelnen Techniken in ein Gesamtkonzept einbinden. Man spricht hier von “agilen Methoden”, zu deren bekanntesten Scrum, Kanban und Design Thinking gehören.
Agilität in der Hochschule
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, inwieweit Universitäten aufgrund ihrer formalen Struktur und Organisation agile Entwicklungen fördern oder eher behindern (Mayrberger, 2021). Insgesamt lässt sich feststellen, dass seit einigen Jahren ein steigendes Interesse auf den unterschiedlichen Ebenen in der Organisation Hochschule, u.a. der Studiengangsentwicklung, der Administration und des Wissenschaftsmanagements erkennbar ist. Allerdings finden sich agile Projekte und Herangehensweisen bis jetzt meist nur auf der Mikroebene der Lehrgestaltung (“agile Lehre”; Mayrberger, 2021).
Unbestritten ist, dass agile Arbeitsweisen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch an Universitäten und Hochschulen zahlreiche Vorteile und Chancen bieten. Daher sollte ihr Potential in größerem Umfang und auf allen Ebenen genutzt werden.
Agile Herangehensweisen können die Zusammenarbeit und den Austausch im (Lehr-)Team, mit anderen universitätsinternen und -externen Einrichtungen sowie mit den Studierenden verbessern. Das gelingt u.a. durch regelmäßige Teamtreffen sowie kurze Feedbackschleifen. Die Gesamtplanung sowie die Priorisierung anstehender Aktivitäten erfolgen gemeinsam im Team. Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Prozesse und Fortschritte werden für alle Beteiligten sichtbar gemacht, wahlweise analog oder digital.
Von den Vorteilen agiler Lehre profitieren Lehrende und Studierende gleichermaßen. Studierende werden aktiv in die Gestaltung der Lehrveranstaltung eingebunden, indem z.B. die Lernwege und inhaltlichen Schwerpunkte gemeinsam festgelegt werden. Anschließend wird der gesamte Lernprozess in überschaubare Arbeitsschritte eingeteilt und in geeigneter Weise visualisiert. In Kombination mit regelmäßigen Feedbackschleifen und Reflexionen hilft diese Struktur den Studierenden in der Eigenorganisation ihres Lernprozesses. Die Rolle der Lehrenden ändert sich insofern, als sie nicht mehr für die Wissensvermittlung, sondern primär für die Unterstützung der Studierenden in diesem Prozess zuständig sind. Ein zusätzlicher Mehrwert für die Studierenden liegt darin, dass sie Prinzipien und Arbeitsweisen kennenlernen und anwenden, denen sie immer häufiger an zukünftigen Arbeitsplätzen begegnen werden (Arcaro & Gähl, 2020).
Im Rahmen der Studiengangs- und Curriculumsentwicklung sollten Studierende in ihrer Rolle als “Kundinnen und Kunden” frühzeitig miteinbezogen werden. Ihre Bedürfnisse, Wünsche und Rückmeldungen sind wertvolle Informationen. Missverständnisse können so frühzeitig erkannt und ausgeräumt werden.
Zwei Beispiele aus der Hochschulpraxis
Mitarbeitende an Hochschulen können beim agilen Arbeiten nur ausgewählte Techniken anwenden oder nach einer agilen Methode (z.B. Scrum) arbeiten. Um sich davon ein besseres Bild machen zu können, wie Agilität in der Hochschulpraxis aussehen kann, stellen wir im Folgenden jede Option anhand eines konkreten Beispiels vor.
Organisation des Roundtables “Innovation in der Hochschul(lehr)e“ mit Hilfe eines Task-Boards
Als erstes Praxisbeispiel dient die Organisation des Roundtables zum Thema “Innovation in der Hochschul(lehr)e”. Dieser wurde vom ZHW der Universität Regensburg durchgeführt. Für die Diskussionsrunde waren viele unterschiedliche Dinge zu erledigen, wie das Organisieren eines Impulsreferats, das Finden von Diskutantinnen und Diskutanten, Raumsuche, Werbung, Homepage, Catering usw. Hierbei waren verschiedene Stellen und Personen involviert, wie die Zentralbibliothek, das Studentenwerk und das ZHW.
Zu Beginn war es wichtig eine Aufgabensammlung zu erstellen und Prioritäten zu setzen. Dabei wurden die einzelnen Aufgaben nach hoher, mittlerer und niedriger Priorität sortiert und entsprechend als nächstes zum Erledigen ausgewählt (Aufgabenbeispiele siehe Abbildung 2).
Grundsätzlich besteht bei einem Projekt mit vielen Aufgaben die Gefahr, den Überblick zu verlieren. Um dies zu verhindern und eine gute Koordination zu ermöglichen, kann ein Task-Board genutzt werden. So ist gut visualisiert, welche Dinge noch zu erledigen sind, welche bereits begonnen wurden und welche abgeschlossen sind. Das Task-Board kann sowohl analog als auch digital genutzt werden.
Beim Roundtable waren die Organisatoren oft nicht am selben Standort. Daher wurde in diesem Fall als digitale Lösung Trello genutzt. Dieses Tool eignet sich gut, weil nicht nur verschiedene Spalten mit To Do, Doing und Done angelegt werden können. Es ist zudem möglich, ein Datum zu setzen und Dokumente zu hinterlegen, auf die alle Board Mitglieder zugreifen können. Pro Aufgabe kann eine Karte erstellt werden, die entsprechend von links nach rechts bewegt werden kann. Außerdem können pro Karte Verantwortlichkeiten definiert werden.
eduScrum in der Mathematikvorlesung
Eine weitere Möglichkeit für agiles Arbeiten an Hochschulen ist die Anwendung von eduScrum. An der Universität Mannheim wird diese Methode erfolgreich eingesetzt. Als aktive Veranstaltungsform ist eduScrum in der Mathematikvorlesung für Maschinenbaustudierende in Verwendung. Das bedeutet, dass die Studierenden als Teams innerhalb eines festen Zeitraums selbständig Aufgaben bearbeiten. Der Unterschied zu herkömmlichen Projektarbeiten ist, dass die Lernenden ihre Arbeitsschritte selbst planen und gestalten. Die Aufgabe der Dozentin ist es, die Lernziele festzulegen, als Coach für das Team zur Verfügung zu stehen und bei Fragen weiterzuhelfen. Die Studierenden erhalten ein Booklet mit den Lernzielen. Dabei sind die anzuwendenden Formeln und Rechenwege farbig markiert. Zu jedem Thema sind Aufgaben und Literaturangaben angegeben.
Der Ablauf in der Mathematikvorlesung ist in vier Phasen unterteilt.
Phase 1: Kick Off/Planungsphase (20-30 Minuten)
Beim Kick Off wird ein Überblick über die zu bearbeitenden Themen der Mathematikvorlesung gegeben. Dabei wird ein Teaser verwendet, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Wichtig ist, einen Fachbezug herzustellen. Zudem wird die Relevanz des Themas verdeutlicht. Die Studierenden müssen dann die Schritte für die anstehende Arbeitsphase in ihrer Gruppe konkret planen. Die Studierenden erhalten zudem das Booklet.
Phase 2: Doing (1-3 Wochen)
In dieser Phase erarbeiten sich die Studierenden in Gruppenarbeit den Stoff. Dabei werden sowohl ein Wissensspeicher angelegt als auch Aufgaben gerechnet und in der Gruppe besprochen. Bei Hürden können die Gruppen individuelle Hilfestellung von der Dozentin einholen.
Phase 3: Review (60 Minuten)
Bei der Review geht es darum, ob die Studierenden den Stoff verstanden haben. Sprich kann der Stoff so angewendet werden, z.B. ob die Studierenden mit den erlernten Fähigkeiten erfolgreich eine Klausur schreiben können (Wissenstest sowie Klausur ähnliche Aufgaben und Situationen).
Phase 4: Retrospektive (15 Minuten)
In der letzten Phase soll die Zusammenarbeit reflektiert werden. Hier können die Teammitglieder besprechen, was bei der Zusammenarbeit gut funktioniert hat und welche Arbeitsweisen für die nächste Arbeitsphase verbessert werden können.
Vorteil bei der Arbeit mit eduScrum ist es, dass die Studierenden sich selbst aktiv den Stoff erarbeiten und nicht nur passiv das Gesprochene hören. Zudem besteht während des Arbeitens (statt Vorlesungen) die Möglichkeit, sich bei Hürden an die Dozentin zu wenden. Sprich es können individualisierte Themen erklärt werden.
Tiefergehende Informationen zum Konzept stellt die Dozentin Prof. Anna Luther in einem sehr sehenswerten Mittagsimpuls an der Technischen Universität Mittelhessen vor:
Übrigens: Auch dieser Blogbeitrag wurde – wie nahezu alle anderen Beiträge auf lehrblick.de – mit Hilfe agiler Techniken (u.a. Task-Board und Retrospektive) und Tools (u.a. Trello und Teams) auf Basis agiler Prinzipien (selbstorganisiertes Team, Iteration, direkte Kommunikation) erstellt ????
Literatur
Arcaro, I. & Gähl, A. (2020). Mindset für Agile Lehre. DUZ Magazin, 7, 56–59.
Mayrberger, K. (2024). Agile Educational Leadership. https://agile-educational-leadership.de/
State of Agile (2023). The 17th State of Agile Report. https://info.digital.ai/rs/981-LQX-968/images/RE-SA-17th-Annual-State-Of-Agile-Report.pdf?version=0
Preußig, J. (2020). Agiles Projektmanagement: Agilität und Scrum im klassischen Projektumfeld. Haufe.
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags
Bachmaier, R. & Puppe, L. (2024, 18. Juli). Vom Wissen zum Können: Lernziele formulieren. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20240718.DE
Regine Bachmaier
Dr. Regine Bachmaier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik der Universität Regensburg. Sie unterstützt die Lehrenden im Bereich "Digitale Lehre", u.a. durch Workshops sowie individuelle Beratung. Daneben versucht sie, den Überblick über Aktuelles aus dem Bereich "Digitale Lehre" zu behalten und weiterzugeben.
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Linda Puppe
Dr. Linda Puppe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern innovative Lehre und Motivation. Zudem interessiert sie sich für Entwicklungen im Bereich digitale Lernumgebungen.
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