Während der Corona-Pandemie wird ein Großteil der Lehre medial abgebildet. Neben Videokonferenzen (z.B. über zoom) werden dabei insbesondere asynchrone Videos verwendet. Dass der Einsatz von Videos mehr als eine Notlösung sein kann, belegt eine aktuelle Metaanalyse im Review of Educational Research.
Nicht erst seit der Corona-Pandemie spielen Videos in der Lehre eine bedeutende Rolle. Die verwendeten Formate reichen von aufwendig produzierten Lernfilmen über kurze Erklärvideos bis hin zu vertonten Powerpointfolien. Gemeinsam ist allen Formaten, dass sie Bewegtbild mit Ton kombinieren. Im Gegensatz zur Videokonferenz werden die Inhalte vorab produziert, aufgezeichnet und asynchron präsentiert. Eine dynamische und direkte Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden ist daher bei Videos nicht möglich.
Viele Gründe sprechen für den Einsatz von Video
Alleine aus pragmatischen Gründen haben Videos einen festen Platz in der Hochschullehre. Sie ermöglichen ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen, z.B. in Fernstudiengängen oder während Kontaktbeschränkungen. Sie kommen aber auch in Präsenzsettings zum Einsatz, wenn Inhalte gezeigt werden sollen, die real nicht oder nur mit hohem Aufwand präsentiert werden können. Das ist z.B. dann der Fall, wenn der gezeigte Gegenstand sehr klein oder sehr groß ist, wenn Abläufe simuliert werden sollen, die in der Realität sehr schnell oder sehr langsam ablaufen, oder auch zur realistischen und situierten Anwendung von Fällen (z.B. in der Medizin).
Medienpädagogische Erkenntnisse legen nahe, dass über diese rein praktischen Vorteile Videos auch den Lernprozess der Studierenden unterstützen können. Gut belegt ist, dass durch die gezielte Kombination von Text und Bild die Behaltensleistung gesteigert werden kann (Mayer, 2012). Andere Studien (z.B. Schneider et al. 2018) zeigen, dass durch die Möglichkeit, Inhalte beliebig zu wiederholen, zu überspringen und zu pausieren, die kognitive Belastung der Lernenden verringert wird.
Metaanalyse mit aufwendigem Studiendesign
In einer breit angelegten Metaanalyse haben Noetel et al. (2021) untersucht, welche Effekte der Einsatz von Videos speziell in der universitären Lehre hat. Aus zunächst 329 Studien zu dem Thema wählten die Autor:innen 105 zur näheren Analyse aus. Eingeschlossen wurden dabei Studien bei denen
- das Studiendesign randomisiert war,
- Video wurde als unabhängige Variable erfasst wurde,
- Video die einzige wesentliche Umstellung im Studiendesign war (daher wurden z.B. Studien zu flipped-classroom ausgeschlossen, da hier den Studierenden neben Videos auch eine substanziell andere Lernerfahrungen geboten wird),
- die Teilnehmer:innen ausschließlich aus Hochschulen stammten und
- der Lernerfolg durch Test oder Prüfungen gemessen wurde (also nicht selbstberichteter Lernerfolg oder subjektive Zufriedenheit).
Die meisten der ausgewählten Studien (n=84) untersuchen den Effekt von Videos, wenn diese bestehende Lernformate ersetzen, weitere 34 die Wirkung, wenn Lernformate mit Videos ergänzt werden. 12 der oben genannten Studien thematisieren beide Fragestellungen. Aus den eingeschlossenen Studien berechneten Noetel et al. (2021) die gepoolte Effektstärke (g). Diese drückt aus, wie stark oder schwach sich der Einsatz von Videos im Vergleich zu einer konventionellen Lernumgebung (Kontrollgruppe) auswirkt.
Dabei wurden auch verschiedene moderierende Variablen berücksichtigt, insbesondere
- das Lernumfeld (z.B. Einsatz in Vorlesung, Tutorien oder Selbststudium),
- die Vergleichsbedingungen (ersetzt das Video eine Lehrperson oder statische Medien),
- die Lernziele (Wissen oder Fertigkeiten) und Prüfungszeitpunkt (unmittelbar oder zeitverzögert nach dem Lernen),
- die relative Zeitdauer der Intervention (war die Zeitdauer länger, kürzer oder vergleichbar mit der Kontrollgruppe) und die absolute Dauer,
- die Interaktivität des Lernumfelds (im Vergleich zur Kontrollgruppe)
- sowie Rahmenbedingungen zu Studienfach, Region und Finanzierung der Maßnahme.
Videos können andere Lernformen ersetzen
Alles in allem zeigte sich, dass verschiedene Lernformen durchaus mit Video ersetzt werden können. Der berechnete Effekt von Video im Vergleich zu anderen Lernformen ist dabei insgesamt moderat (g = 0.28). Dabei fallen die Ergebnisse in den einzelnen Studien sehr unterschiedlich aus: In der Hälfte der untersuchten Lernsettings zeigten die Videos einen guten Effekt (g >.20). Bei ungefähr jeder dritten Studie (31%) war der Effekt vernachlässigbar, 19% der Untersuchungen ergaben sogar einen negativen Effekt.
Es lohnt sich daher, einen Blick auf die einzelnen Bedingungen zu werfen, unter denen die Videos eingesetzt wurden.
Videos zeigen einen moderaten Vorteil (g = 0.51) gegenüber statischen Medien wie z.B. Büchern. Nur einen schwachen Effekt (g = 0.18) erzielen sie, wenn sie als Ersatz für eine Lehrperson eingesetzt werden (siehe Abbildung 1).
Diese Ergebnisse bestätigen die Annahmen der kognitiven Theorie multimedialen Lernens (Mayer, 2008). Während bspw. Text nur eine visuelle Informationsaufnahme anspricht, kann durch eine gezielte Kombination von visuellen und auditiven Informationen der Lerngegenstand besser aufgenommen und verarbeitet werden. Dies wirkt sich in der Regel positiv auf den Lerneffekt aus. Gleichzeitig können Studierende bei Videos – anders als im Live-Unterricht – ihr Lerntempo selbst bestimmen. Sie können Stellen beliebig wiederholen und selbst entscheiden, wann und wie lange sie Lernpausen einlegen. Denkbar ist, dass Lehrpersonen bei der Produktion von Videos stärker auf eine ansprechende und kohärente Gestaltung der Lernmedien achten als sie dies in einer Live-Situation tun würden. Die Produktion von Lernvideos macht es möglich, im Nachgang Passagen zu schneiden oder zu ergänzen. Wesentliche Punkte können hervorgehoben und Grafiken exakt passend zum Textvortrag eingeblendet werden. Lehrvorträge können so mit geringem technischen und zeitlichen Aufwand didaktisch optimiert werden.
Ob sich der Einsatz von Videos lohnt, hängt auch von den angestrebten Lernzielen ab. Gute Effektstärken erzielen Videos dann, wenn sie als Lernziel den Erwerb von Fertigkeiten verfolgen (g = 0.44), einen geringeren Vorteil haben sie hingegen beim Erwerb von Faktenwissen (g = 0.18).
Dies lässt sich damit erklären, dass Videos in der Lage sind, authentische und realitätsnahe Probleme und deren Lösung aufzuzeigen. Reines Faktenwissen lässt sich gut verbal darstellen und ggf. mit Grafiken illustrieren. Fertigkeiten aber, wie z.B. Operationstechniken in der Medizin oder Möglichkeiten einer empathischen Gesprächsführung in der Psychologie, lassen sich im wahrsten Sinne des Wortes anschaulicher mit Videos aufbereiten.
Als besonders bedeutsam erwies sich der Grad an Interaktivität des Lernumfeldes, in dem die Videos präsentiert werden. Wenn Videos in Lernumgebungen präsentiert wurden, die weniger interaktiv waren als bei der Kontrollgruppe, zeigte der Einsatz von Videos keinen Vorteil (g = −0.07). Bereits bei gleicher Interaktivität aber erwiesen sich die Videos als effektiver (g = 0.33). Besonders hohe Effekte wurden dann gemessen, wenn Videos mit einer verstärkten Möglichkeit zu Interaktion (z.B. durch gemeinsames Ansehen mit Kommiliton:innen) kombiniert werden (g = 0.62). Abbildung 3 veranschaulicht die Wirkung von Videos in Lernumgebungen, die weniger, gleich oder stärker interaktiv gestaltet wurden als die der Kontrollgruppe.
Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Möglichkeit zu einer aktiven Verarbeitung von Wissensinhalten in einem interaktiven Lernumfeld eine der bedeutsamsten Faktoren für effektives Lernen ist.
Alle weiteren untersuchten Kontrollvariablen hatten keinen Einfluss auf die Wirkung von Videos in Lernsettings.
Videos sollten andere Lernformen ergänzen.
In ihrer Analyse ging Noetel et al. (2021) außerdem der Frage nach, wie wirksam Videos sind, wenn sie andere Lernformen ergänzen. Dieser Aspekt lässt sich wesentlich leichter und schneller beantworten. Die überwiegende Mehrheit der Studien (88%) zeigte einen starken Effekt bei der Ergänzung mit Videos, nur in 2% der Studien erzielten die Videos eine negative Wirkung auf den Lernerfolg. Insgesamt spricht eine Effektstärke von g = 0.80 ganz klar dafür, Videos als Ergänzung zu anderen Lernformen und Lernmedien in der Hochschullehre einzusetzen. Mit einer einzigen Ausnahme hatte keine der untersuchten Variablen einen wesentlichen Einfluss auf die Effektstärke. Auf den ersten Blick überraschend ist, dass die Art der Finanzierung der jeweiligen Projekte die Wirksamkeit von Videos beeinflusst. Studien, die durch externe Geldgeber finanziert wurden, weisen einen größeren Effekt auf als Studien ohne zusätzliche Finanzierung. Die Autor:innen erklären diese Effekt damit, dass drittmittelfinanzierte Videos möglicherweise aufwendiger gestaltet wurden und dabei stärker auf die Umsetzung mediendidaktischer Erkenntnisse geachtet wurde.
Der Einsatz hochwertiger Videos kann Präsenzlehre bereichern
Was also lässt sich aus dieser breit angelegten Studie für die Lehrpraxis mitnehmen? Zunächst einmal: Videos sind ein gut geeignetes Medium, um universitäre Lerninhalte aufzubereiten. Es lohnt sich daher, Zeit und Energie in die Produktion gut durchdachter Lernfilme zu investieren. Argumente, wonach ein Großteil der Lehre künftig problemlos durch videobasierte Formate ersetzt werden könnte, werden durch die Analyse aber nicht gestützt. Vielmehr zeigt sich, dass hohe Effekte insbesondere dann erzielt werden, wenn Videos die Präsenzlehre ergänzen. Erst eine Interaktivität der Präsenzlehre mit einem sozialen Austausch über die Inhalte der Videos machen diese zu einer wertvollen Ergänzung des methodischen Repertoires in der Hochschullehre.
Die Produktion hochwertiger Lernvideos ist demnach nicht nur eine Lösung für emergency remote teaching, sondern eine Investition, um künftig Präsenzlehre noch effektiver zu gestalten.
Literatur
Mayer, R.E. (2012). Multimedia Learning (2nd edition). Cambridge University Press DOI: 9780511811678
Noetel, M., Griffith, S., Delaney, O., Sanders, T., Parker, Ph, del Pozo Cruz, B. & Lonsdale, Ch. (2021). Video Improves Learning in Higher Education: A Systematic Review. Review of Education Research, 91 (2). DOI:10.3102/0034654321990713
Schneider, S., Nebel, S., Beege, M., Rey, G. D. (2018). The autonomy-enhancing effects of choice on cognitive load, motivation and learning with digital media. Learning and Instruction, 58, 161–172. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2018.06.006
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B (2021, 6. Mai). Videos in der Hochschullehre: mehr als emergency remote teaching. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20210506.DE
Birgit Hawelka
Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.
-
Birgit Hawelka#molongui-disabled-link
-
Birgit Hawelka#molongui-disabled-link
-
Birgit Hawelka#molongui-disabled-link
-
Birgit Hawelka#molongui-disabled-link