Lehrkonzepte

Weniger ist mehr: Vier von vielen Wegen, um Cognitive Load zu reduzieren

6. April 2023

Hoher cognitive load kann das Lernen mühsam machen. Unzählige Studien untersuchten, wodurch cognitive load verursacht wird und wie er minimiert werden kann. Dabei zeigt sich: Weniger ist hier häufig mehr.

Cognitive load entsteht im Wesentlichen dadurch, dass das Arbeitsgedächtnis beim Verarbeiten neuer Informationen überlastet wird. Mögliche Ursachen dafür sind einerseits die Komplexität des Lerngegenstands (intrinsic load), andererseits eine ungünstige Gestaltung der Lernumgebung (extraneous load). Sweller, van Merriënboer & Paas (2019) beschreiben zahlreiche Effekte, die dazu beitragen, cognitive load von Lernenden zu erhöhen. Vier davon, die für den Hochschulalltag besonders relevant scheinen, stellt dieser Beitrag vor.

Zuviel des Guten | Der Kohärenz-Effekt

Präsentationsmedien wie z.B. Powerpoint sind aus dem Lehralltag kaum wegzudenken. Sie ermöglichen es Lehrenden, mit wenigen Klicks Text, Bild, Videos und Animationen zu einer Präsentation zusammenzustellen. Häufig landen dabei interessante, aber vollkommen irrelevante Informationen in den Präsentationen. Diese Elemente sehen zwar schön aus, lenken aber die Aufmerksamkeit der Lernenden auf Unwesentliches. Auch Logos, Datum, Foliennummern oder Ihr Name auf den Folien (s. Abbildung 1) werden von Studierenden bewusst oder unbewusst wahrgenommen und binden damit kognitive Kapazitäten. Dies erhöht die kognitive Belastung und erschwert es, die relevanten Informationen zu identifizieren, wesentliche Informationen zu integrieren und sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen.

zwei Folien - Beispiele für Kohärenzeffekt
Abbildung 1: Beispiel für Folien mit irrelevanten grafischen Informationen

Dieser Kohärenz-Effekt (Fiorella & Mayer, 2021) ist insbesondere im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Wirksamkeit multimedialer Lernumgebungen gut belegt. Eine Meta-Analyse von Sundararajan & Adesope (2020) zeigt, dass der Lernerfolg deutlich gesteigert werden kann, wenn bei Lernmaterialien ablenkende Elemente entfernt werden. Es lohnt sich daher, bei den eigenen Folien nochmals zu prüfen, ob diese nicht mit irrelevanten Elementen überfrachtet sind. Ausführliche Hinweise für eine kohärente Gestaltung von Präsentationsfolien finden Sie im Beitrag zum Thema “5 typische Fehler bei der Foliengestaltung (und wie Sie diese vermeiden)”.

Der Kohärenz-Effekt greift auch, wenn während eines Lehrvortrags Folien zu einem Thema sichtbar sind, Lehrende aber zeitgleich, z.B. in einem Exkurs, ein anderes Thema erklären. Die visuellen Informationen der Folien machen in diesem Fall keinen Sinn. Im Gegenteil: Dadurch, dass Studierende ihre Aufmerksamkeit zwischen verschiedenen auditiven und visuellen Informationen teilen, wird die kognitive Belastung unnötig erhöht. Ein Druck auf die “B”-Taste (für black) oder “W”-Taste (für white) blendet die Präsentationsfolien kurzfristig aus und erleichtert Ihren Studierenden ein aufmerksames Zuhören.

Doppelt gemoppelt | Der Redundanzeffekt

Nicht nur ablenkende Details, auch die Präsentation identischer Informationen in verschiedenen Formaten kann die kognitive Belastung der Lernenden erhöhen und zu schlechterer Lernleistung führen. Sweller, van Merriënboer & Paas (2019) sprechen hier vom Redundanz-Effekt. Er tritt dann auf, wenn Studierende gleichzeitig mit verschiedenen Informationsquellen arbeiten, die in sich geschlossen sind und auch ohne Bezug zueinander verstanden werden können. Studierende investieren dabei vollkommen unnötig kognitive Anstrengung in die mentale Integration verschiedener Informationsquellen. Ein Beispiel für den Redundanz-Effekt ist eine PowerPoint-Präsentation, bei der ein:e Sprecher:in während der Präsentation wörtlich den Text abliest, der auf der Folie angezeigt wird. 

Geringe Abweichungen, etwa das weitgehend freie Wiedergeben eines visuell präsentierten Textes, lösen die Redundanz auf und führen zu deutlich besserem Lernerfolg (Fiorella & Mayer, 2021). Interessant ist dabei, dass in verschiedenen Studien Studierende die redundante Präsentation bevorzugten und dabei ihren eigenen Lerneffekt deutlich überschätzen. Ähnlich wie bei der Frage zur Bereitstellung von Folien im Vorfeld von Veranstaltungen decken sich subjektive Vorlieben nicht immer mit empirischen Evidenzen.

Der Weg ist das Ziel | Goal-free Effekt

Nicht nur durch einen didaktisch angepassten Vortrag, auch durch die Art der Aufgabenstellung kann cognitive load verringert werden. Übungsaufgaben werden üblicherweise als Problemstellung mit verschiedenen Parametern und einer spezifischen Zielstellung formuliert. Ein einfaches Beispiel aus dem Schulunterricht zeigt, was damit gemeint ist (Paas & Kirschner, 2012):

Ein Auto beschleunigt aus dem Stand gleichmäßig für 1 Minute. Seine Endgeschwindigkeit beträgt 2 km/min. Wie weit ist es in dieser Zeit gefahren? 

Für Noviz:innen, die Probleme rückwärtsgerichtet lösen, verursacht die Lösung dieser geschlossenen Problemstellung hohen cognitive load. Sie müssen aufgrund fehlender Schemata gleichzeitig alle vorgegebenen Parameter, die Zielstellung und mögliche Lösungswege im Kopf behalten. Anders sieht es aus, wenn Lernende mit unspezifischen Problemstellungen (goal-free problems) arbeiten. Im obigen Beispiel wäre das:

Ein Auto beschleunigt aus dem Stand gleichmäßig für 1 Minute. Seine Endgeschwindigkeit beträgt 2 km/min. Mit der unspezifischen Zielstellung: Berechnen Sie so viele Werte wie möglich.

Die Zielstellung ist hier unspezifisch. Studierende werden lediglich aufgefordert, so viele Werte wie möglich zu berechnen. Dabei können sie sich auf die verschiedenen Parameter und deren Zusammenhänge konzentrieren, ohne ein spezielles Ziel mitzudenken. Dies ermöglicht ihnen ein vorwärtsgerichtetes Problemlösen, das deutlich weniger cognitive load verursacht.Dass unspezifische Übungsaufgaben auch im universitären Kontext das Lernen bei Studienanfänger:innen verbessern können, zeigt z.B. eine Studie von Trumpower, Goldsmith und Guynn (2004):
Studierenden in einem einführenden Kurs zum Thema Statistik wurden Übungsaufgaben mit oder ohne spezifischer Zielsetzung gestellt. Bei einer Vergleichsgruppe mit Studierenden in einem Fortgeschrittenenkurs wurde das Versuchsdesign wiederholt.
Bei den Anfänger:innen erwarben die Studierenden, die mit unspezifischen Aufgaben gelernt hatten, mehr Wissen und konnten dieses besser auf unbekannte (spezifische) Aufgaben transferieren als die Kontrollgruppe. Für Studierende mit fortgeschrittenen Kenntnissen hingegen brachte die unspezifische Aufgabenstellung keine Lernvorteile.

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Alles ist relativ | Der Expertise-Reversal Effekt

Es klingt zunächst kontraintuitiv – ist aber empirisch gut belegt: Auch zu viel didaktische Unterstützung kann sich negativ auf den Lerneffekt auswirken. Didaktische Hilfen dienen in der Regel dazu, fehlende kognitive Schemata zu ersetzen und den Aufbau geeigneter Schemata zu unterstützen. Anleitungen und Hilfestellungen, die für Noviz:innen ausgesprochen hilfreich sein können, sind für Expert:innen teilweise nutzlos oder sogar kontraproduktiv. Der oben beschriebene Goal-free Effekt z.B. unterstützt nur Studienanfänger:innen, nicht aber fortgeschrittene Studierende. Kalyuga & Sweller (2018) beschreiben dies als Expertise Reversal Effect und nennen einige Beispiele:

  • Studierende mit geringen Kenntnissen profitieren z.B. durch das Lernen mit Lösungsbeispielen. Mit zunehmender Expertise kehrt sich dieser Effekt um, und weniger geleitete Lernformen wie problembasiertes Lernen erzielen höhere Effekte.
  • Hinweise zur Anwendung kognitiver oder metakognitiver Lernstrategien sind für Studienanfänger wichtig und unterstützen das Lernen. Fortgeschrittene Studierende aber erzielen bessere Lerneffekte ohne diese Hinweise.
  • Noviz:innen fällt das Lernen leichter, wenn komplexe Informationen zunächst als einzelne, isolierte Elemente vermittelt werden. Expert:innen hingegen würden versuchen, diese Einzelinformationen mit vorhandenen Schemata abzugleichen, was den cognitive load unnötig erhöht. 

Es gibt – wie so oft in der Didaktik – keine Lösung, die für alle Probleme und jede Zielgruppe passt. In der Lehrpraxis verlangt es viel Fingerspitzengefühl, so viel Anleitung wie nötig zu geben und gleichzeitig so wenig unnötige Informationen wie möglich zu präsentieren. 

Oftmals sind es kleine Änderungen, die den cognitive load von Studierenden verringern und damit das Lernen erleichtern. Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt? Mit welchen Umstellungen haben Sie gute Lerneffekte erzielt? Teilen Sie gerne Ihre Erfahrungen auf Twitter, LinkedIn oder über die Kommentarfunktion.


Literatur

Fiorella, L., & Mayer, R. (2021). Principles for Reducing Extraneous Processing in Multimedia Learning: Coherence, Signaling, Redundancy, Spatial Contiguity, and Temporal Contiguity Principles. In R. Mayer & L. Fiorella (Eds.), The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (Cambridge Handbooks in Psychology, pp. 185-198). Cambridge: Cambridge University Press. doi:10.1017/9781108894333.019

Kalyuga, S. & Sweller, J. (2018). Cognitive Load and Expertise Reversal. In K.A. Ericsson, R.R. Hoffman, A. Kozbelt, A. & A.M. Williams, (Eds), The Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance (pp. 793 – 811). Cambridge University Press.

Paas, F., Kirschner, F. (2012). Goal-Free Effect. In: Seel, N.M. (Ed.), Encyclopedia of the Sciences of Learning. https://doi.org/10.1007/978-1-4419-1428-6_299

Sundararajan, N. & Adesope, O. (2020). Keep it Coherent: A Meta-Analysis of the Seductive Details Effect. Educational Psychology Review 32, 707–734. https://doi.org/10.1007/s10648-020-09522-4

Sweller, J., van Merriënboer, J.J.G. & Paas, F. (2019). Cognitive Architecture and Instructional Design: 20 Years Later. Educational Psychology Review 31, 261–292. https://doi.org/10.1007/s10648-019-09465-5

Trumpower, D.L., Goldsmith, T.E. & Guynn, M.J. (2004). Goal specificity and knowledge acquisition in statistics problem solving: Evidence for attentional focus. Memory & Cognition 32, 1379–1388. https://doi.org/10.3758/BF03206328


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B. (2023, 6. April). Weniger ist mehr: Vier von vielen Wegen, um Cognitive Load zu reduzieren. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/zhw/20230406.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Birgit Hawelka

Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.

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