Nach zweieinhalb Jahren Abstinenz ist es endlich soweit: Die ersten Fachkonferenzen finden wieder in Präsenz statt. Und mit der “Earli SIG 1 & 4 Joint Conference” in Cadiz hätten wir, das Redaktionsteam von lehrblick.de, uns wohl keinen besseren Wiedereinstieg aussuchen können.
Auf nüchterne Daten reduziert, lässt sich die Konferenz wie folgt beschreiben:
235 Teilnehmer:innen mit
191 wissenschaftlichen Beiträgen (Symposia, Paper Sessions und Posterpräsentationen) und
3 inspirierende Keynotes an
4 Tagen in
1 grandiosen Location
Tatsächlich war die Konferenz aber viel mehr: Das Konferenzthema “Exploring research synergies to learn from each other” als Motto für einer gemeinsamen Veranstaltung von zwei SIGs boten vielfältige Möglichkeiten des interdisziplinären Austauschs. Die präsentierten Themen waren sehr vielfältig, inhaltliche Schwerpunkte waren neben der Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit “assessment methods and tools”, “feedback literacy”, “blended-learning and online-learning in HE”, “sustainable, innovative, holistic HE” und “Covid-19 impact”.
Unser eigener Beitrag, eine geführte Posterpräsentation beschäftigte sich mit dem letztgenannten Thema. Unter dem Titel “High quality teaching in online seminars. An analysis of qualitative evaluation data” durften wir die Ergebnisse von Teaching Analysis Polls im Schatten der Pandemie präsentieren.
Welche Erkenntnisse und Eindrücke nehmen wir darüber hinaus aus Cadiz mit?
Cross-pollinate like bees!
Was haben Äpfel, Kirschen und Bienen mit Hochschullehre zu tun? Mehr, als man auf den ersten Blick mutmaßt: In ihrer Keynote „Breaking out of our Silos: How Higher Education Researchers Can Learn With Other SIGs“ verwies Kathleen M. Quinlan darauf, dass erst durch die Bienen, die von einer Pflanze zur nächsten fliegen und sich damit um die Bestäubung kümmern, Äpfel und Kirschen entstehen. Verbunden damit war ihre Aufforderung an die Teilnehmer:innen, sich wie Bienen zu verhalten: den eigenen Bau (die eigene SIG) zu verlassen, an verschiedenen Blüten zu schnuppern (sich mit Forschenden und Lehrenden anderer SIGs auszutauschen) – und sich damit sozusagen im „Vorbeiflug“ um die Bestäubung anderer zu kümmern (gemeinsam zu neuen Erkenntnissen zu gelangen).
Quinlan beließ es aber nicht nur bei dieser allgemeinen Analogie, sondern konkretisierte ihre Aussage ausführlich anhand ausgewählter Beispiele aus ihrem Forschungsbereich. Zwei Erkenntnisse sind uns dabei besonders nachdrücklich im Gedächtnis geblieben.
Lehren und Lernen muss vor dem Hintergrund der jeweiligen Fachdisziplin gedacht werden
Die Art und Weise, wie in den einzelnen Fächern gelehrt wird, ist in hohem Maße in fachspezifischen Überzeugungen und Einstellungen begründet. DieHaltung, was gute Lehre auszeichnet, unterscheidet sich stark zwischen den unterschiedlichen Domänen. So herrschen beispielsweise in den Geschichtswissenschaften anderen Überzeugungen vor als in Ingenieurswissenschaften. Diese Überzeugungen werden einerseits in einer fachspezifischen Kultur des Lehrens und Lernens tradiert. Gleichzeitig spiegeln sich darin aber auch spezielle Denkweisen des wissenschaftlichen Fachkanons wieder. Erst im Austausch zwischen unterschiedlichen Fachkulturen (z.B. in interdisziplinärer Forschung oder auch in hochschuldidaktischen Kursen) wird die eigene Überzeugung dechiffriert und ein gewinnbringender Austausch (z.B. über Feedback und Prüfungsformen) ermöglicht.
Hochschulbildung muss ganzheitlich gedacht werden
In ihrem zweiten Beispiel legte Quinlan den Fokus auf die Studierenden. Sie sind es, die maßgeblich die Zukunft gestalten werden. Von der Qualität ihrer Ausbildung hängt daher in hohem Maße ab, wie gut es künftig gelingt, epochale Problemstellungen wie Klimawandel, Frieden oder soziale Gleichheit zu bewältigen.
The students we are teaching are going to become some of the most privileged members of society. […] And they are going to be the ones that are making the decisions that affect the world’s most pressing problems.
Kathleen M. Quinlan
Quinlan sieht es daher als eine zentrale Aufgabe von Hochschuldidaktik an, über den Tellerrand der Instruktionspsychologie hinaus zu schauen und (wieder) in stärkerem Maße Erkenntnisse der geistes- bzw. sozialwissenschaftlichen Pädagogik zu fokussieren. Insbesondere drei Ziele sieht sie als essentiell neben der rein kognitiven Bildung von Studierenden:
Kritisches Denken – Emotionale Entwicklung – Moralische Bildung
Damit setzt sie Persönlichkeitsentwicklung als Ziel eines Studiums gleichbedeutend mit der Bildung des Verstandes. Erst eine ganzheitliche Ausbildung bereitet die Studierenden wirklich auf ihre zukünftigen Aufgaben vor. Damit das gelingt, muss es künftig möglicherweise in den Curricula mehr Raum für offene Diskussionen und unerwartete Entdeckungen geben.
Feedback ist überall
Feedback und feedback literacy waren ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt der Tagung. Den konzeptuellen Rahmen für diese Thematik setzte Anastasia Lipnevich in ihrer Keynote „The paradox of feedback: If we don‘t know where we are going, How will we know that we got there?“. Sie definiert Feedback als jede Information, die Studierende nutzen können, um ihre Performanz oder ihren Lernprozess zu verbessern. In einem Modell fasst sie zunächst verschiedene Einflussfaktoren für gelungenes Feedback zusammen (s. Abbildung 3). Ob und wie zielführend Feedback ist, hängt von mindestens vier Faktoren ab: (1) dem Kontext, (2) der Art und Weise, wie eine Botschaft übermittelt wird, (3) der Verarbeitung durch die Feedbackempfänger:innen und (4) dem angestrebten Ergebnis.
Für die einzelnen Komponenten zitierte Lipnevich zahlreiche Studien mit überraschenden, teils auf den ersten Blick paradox wirkenden Ergebnissen.
Context matters
Aus traditionellen Lernumgebungen ist recht gut belegt, dass elaboriertes Feedback auf Aufgaben einen höheren Lerneffekt erzielt als einfaches Feedback (richtig – falsch) oder kein Feedback. Diese Ergebnisse konnten für Feedback in MOOCs nicht repliziert werden.
Be careful with praise
Mit dem Feedback-Burger wird oftmals empfohlen, Feedback mit Lob einzuleiten, um eine Kritik freundlicher zu verpacken. Offensichtlich gibt es keine Belege dafür, dass diese Methode effektiv ist. Im Gegenteil: Lob zu Beginn dient als primer, das restliche Feedback wird durch die Brille des Lobs positiv verzerrt interpretiert. Studierende, die Lob und Kommentare als Feedback erhielten, zeigten geringeren Lernerfolg als diejenigen, die nur Kommentare erhielten.
Feedback elicits emotion, and emotions mediate feedback
Es liegt nahe, dass positives Feedback bei den Empfänger:innen Stolz erzeugen, während negatives Feedback Schamgefühle hervorrufen kann. Überraschend aber, dass Feedback auch von den Emotionen der Feedbackgeber:innen abhängt: Gelangweilte Lehrpersonen geben schlechtere Noten und strengeres Feedback.
abschließend: zwei persönliche Erkenntnisse
In zahlreichen weiteren Sessions wurden Studien mit spannenden, teils überraschenden Ergebnissen präsentiert. Bei der Fülle fällt es schwer, einzelne Ergebnisse hervorzuheben. Statt dessen eine persönliche Erkenntnis: Viele Studien beschränkten sich auf Daten in einer ausgewählten Domäne. Auch vor dem Hintergrund unserer ersten Erkenntnis (“Lehren und Lernen muss vor dem Hintergrund der jeweiligen Fachdisziplin gedacht werden”) würden wir uns hier Replikationsstudien in einem breiteren Kontext wünschen.
Reale Präsenz ist so viel mehr als “nur gemeinsam in einem realen Raum” zu sein – und hat für uns definitiv eine andere Qualität als virtuelle Präsenz (Und nein, das lag nicht nur an dem Veranstaltungsort, einer pitoresken Stadt am Meer). Deshalb unsere Meinung: Für die Zukunft ist eine gesunde Mischung an Online- und Offline Veranstaltungen sehr zu begrüßen.
Möchten Sie Eindrücke, Einblicke und Zusammenfassungen der anderen Konferenzteilnehmer:innen sowie des Orga-Teams zur Earli SIG 1 & 4 Joint Conference nachlesen, durchsuchen Sie Twitter mit folgenden Hashtags: #cadizconference #EarliSig1 #EarliSig4. Auf dem offiziellen YouTube-Kanal finden Sie die Aufzeichnungen aller Keynotes und Symposia.
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B & Bachmaier, R (2022, 14. Juli). Von Äpfeln, Kirschen und Bienen – Rückschau auf die Earli SIG 1 & 4 Conference in Cadiz. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20220714.DE
Birgit Hawelka
Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.
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Regine Bachmaier
Dr. Regine Bachmaier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik der Universität Regensburg. Sie unterstützt die Lehrenden im Bereich "Digitale Lehre", u.a. durch Workshops sowie individuelle Beratung. Daneben versucht sie, den Überblick über Aktuelles aus dem Bereich "Digitale Lehre" zu behalten und weiterzugeben.
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