Gastbeitrag Lehrkonzepte

Wer die Wahl hat, hat die Qual? Wie Online Self-Assessments bei der Studienwahl unterstützen können.

23. März 2023

Erinnern Sie sich? Gegen Ende der Schulzeit, als absehbar wurde, dass man „endlich“ fertig sein würde, stand man unweigerlich vor der großen Frage: Und dann? Erstmal ein Jahr um die Welt reisen? Ein freiwilliges soziales Jahr machen? Oder doch direkt eine Ausbildung oder ein Studium beginnen? Allein diese Entscheidung will schon wohl überlegt sein. Diejenigen, die sich für die letztgenannte Option – Studium – entscheiden, stehen dann direkt vor der nächsten Wahl: Was möchte ich studieren? Welches Studium passt zu mir?

Im Jahr 2021 entschieden sich mehr als 470.000 (junge) Menschen, ein Studium aufzunehmen. Damit sind sie in guter Gesellschaft: Die Anzahl der Studentinnen und Studenten ist – mit fast 3.000.000 (Hochschulrektorenkonferenz [HRK], 2021) – zwar aktuell ganz leicht rückläufig, aber weiterhin insgesamt immens. Die Frage, welches Studium man wählt, ist nicht zuletzt auch deshalb nicht leicht zu beantworten, weil die Wahlmöglichkeiten kaum überschaubar sind (Petri & Kersting, 2022b). Das Angebot an Studienfächern an den staatlichen Universitäten, den staatlichen Hochschulen der Angewandten Wissenschaften (HAWs) sowie den privaten Hochschulen hat sich – einem Bericht der HRK (2021) zur Folge – in den letzten 15 Jahre auf fast 21.000 (grundständige und weiterführende) Studiengänge nahezu verdoppelt. Darunter sind allein mehr als 9.000 grundständige Studiengänge (Abschluss: Bachelor).

Woher weiß ich, welches Studium zu mir passt?

Die Studienwahl ist eine große Herausforderung. Daher ist es empfehlenswert, sich Zeit zu nehmen für diese Entscheidung. Neben informellen Gesprächen mit Freundinnen und Freunden und Familienmitgliedern, Bekannten etc., lohnt es sich, Beratungsangebote anzunehmen. Sowohl die Hochschulen selbst als auch andere Institutionen, wie z.B. die Agentur für Arbeit, bieten Unterstützung und Beratung in ganz unterschiedlichen Formaten an. Sehr niederschwellige Angebote sind Online Self-Assessments (kurz: OSA), die viele Hochschulen inzwischen anbieten.

Was genau sind OSA?

OSA sind Online-Tools, die im Hochschulkontext in der Regel dazu verwendet werden, Studieninteressierte auf dem Weg zu einer informierten Studienwahl zu unterstützen. Sie stehen als kostenlose und jederzeit verfügbare Ressource online und anonym nutzbar zur Verfügung und bieten sowohl Informationselemente als auch psychometrische Tests und Fragebogen, mit denen eignungsrelevante Merkmale erfasst werden sollen (Petri, Schütte & Beauducel, 2022).

Wer noch gar nicht weiß, was ihn/sie interessiert, sollte zunächst explorativ an die Sache rangehen und entsprechende OSA nutzen. Beim Portal was-studiere-ich.de beispielsweise kann man auf Basis eines persönlichen Profils (Neigungen und Fähigkeiten) Hinweise erhalten, welche Studiengänge einem zusagen könnten.Diejenigen, die schon ein oder wenige spezifische Studienfächer ins Auge gefasst haben („Wunschstudium“), können sogenannte konfirmatorische OSA nutzen: Solche fachspezifischen OSA werden in enger Abstimmung mit den jeweiligen Fachvertreterinnen und -vertretern entwickelt und sind meist hochschulspezifisch. Sie bieten die Möglichkeit zu klären, ob das potenzielle Wunschstudium wirklich zu einem passt und ob die eigenen Vorstellungen von diesem Studium überhaupt realistisch sind. So bietet beispielsweise das OSA-Portal – sortiert nach Fächern – eine äußerst umfangreiche Übersicht über deutschsprachige OSA verschiedenster Hochschulen.

Was erwartet Studierende in einem OSA?

Studieninteressierte können bei der OSA-Nutzung detaillierte Informationen über ihr potenzielles Wunschstudium erhalten, im geschützten Raum testen, inwiefern sie die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium mitbringen und ob ihre Erwartungen an das Studium realistisch sind. Typische Inhalte von OSA sind Fragebogen zu studienrelevanten Eigenschaften, Interessen, Vorwissen, Erwartungen und Tests, zum Beispiel zum schlussfolgernden Denken. Hinzu kommen Informationen zum Studienfach und zur Hochschule.

Je nach Umfang und eigenem Bearbeitungstempo kann die OSA-Nutzung zwischen 45 Minuten und weit mehr als einer Stunde in Anspruch nehmen. In jedem Fall ist dies „gut investierte Zeit“: Eine ordentlich und gewissenhafte Bearbeitung trägt dazu bei, dass die Angaben, die man im OSA macht (zum Beispiel in Selbsteinschätzungsfragebogen oder bei Tests) belastbar sind. Daraus resultiert dann ein Feedback, welches relativ aussagekräftig ist.

Was können Studierende von einem OSA erwarten?

In Form von Feedback wird nach der Bearbeitung rückgemeldet, wie man in den einzelnen OSA-Elementen, zumeist Tests und Fragebogen, abgeschnitten hat und was das in Bezug auf die Studieneignung bedeutet. Viele OSA bieten die Möglichkeit, das teilweise sehr ausführliche Feedback zu exportieren, also lokal zu speichern, sodass man auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder darauf zugreifen kann.

Im Feedback wird in der Regel die Frage nach der Passung zum Wunschstudium thematisiert. Mit Passung ist gemeint, inwiefern die Fähigkeiten, Fertigkeiten, relevanten Vorkenntnisse und weitere studienrelevante Eigenschaften sowie das individuelle Interessensprofil zum Studienfach passen. Die Idee hierbei ist, dass, je höher die Passung zwischen Person (Studieninteressierte) und Umwelt (Studienfach an der jeweiligen Hochschule) ist, es desto wahrscheinlicher ist, dass die betreffende Person im Studium zufrieden ist und dieses erfolgreich abschließen wird (Heublein et al., 2017; Nye, Su, Rounds & Drasgow, 2017; Stoll, 2013; Zimmerhofer, 2008). Das bedeutet, dass man für die eigene Studienwahl – auch basierend auf dem Feedback aus einem oder mehreren OSA, die man bearbeitet hat – eben diese Passung als wichtiges Kriterium heranziehen sollte.

OSA können darüber hinaus einen Fördercharakter haben: Sind bereits im Studieneinstieg spezielle Vorkenntnisse oder ein bestimmtes Fremdsprachenniveau gefordert, so kann dies im OSA getestet werden. Erfüllt man zum Zeitpunkt der OSA-Bearbeitung noch nicht die nötigen Anforderungen, so kann man gezielt auf Vorbereitungskurse oder andere Weiterentwicklungsmöglichkeiten verwiesen werden. Damit können ggf. vorhandene „Lücken“ aufgedeckt werden und man hat die Möglichkeit, sich noch vor der Studienplatzbewerbung darum zu kümmern, dass man das geforderte Niveau erreicht, indem man Wissenslücken füllt.Denkbar ist auch, dass man durch die Nutzung eines OSA erfährt, dass die eigene Vorstellung vom „Wunschstudium“ nicht realistisch ist. Das sollte dazu anregen, sich über die korrigierten Erwartungen Gedanken zu machen. Entweder bleibt man dabei, dass man dieses Studium aufnehmen möchte, weil man vielleicht sogar im OSA neue Seiten des Fachs entdeckt hat, die zusätzlich Interesse geweckt haben. Oder man merkt, dass die eigenen Vorstellungen doch in eine andere Richtung gehen, sodass man sich nochmal neu orientiert. In beiden Fällen birgt die OSA-Nutzung einen Benefit: Die Selbstreflektion wird angeregt und man kann eine informierte(re) Studienwahl treffen bzw. wird animiert, vor der Studienwahl doch noch etwas weiter zu explorieren, um eine gute Entscheidung zu treffen.

Was erhoffen sich die Hochschulen von einem OSA?

Auch aus der Sicht der Hochschulen sind OSA attraktiv: Als ökonomisches und niederschwelliges Online-Tool können sie die Beratungslandschaft für Studieninteressierte und Studierende bereichern. Beispielsweise bietet es sich an, dass Studieninteressierte erst ein oder mehrere OSA bearbeiten und danach, falls Fragen offen bleiben, eine persönliche 1:1-Beratung in Anspruch nehmen. Hierbei kann sogar das Feedback aus dem OSA direkt einbezogen werden. Mit einer Beraterin oder einem Berater können die Ergebnisse diskutiert werden und man kann ausloten, welches Fach ggf. als Alternative in Frage kommt. Falls nicht bereits im OSA enthalten, kann man auch (weitere) Informationen über ggf. vorhandene Zulassungsverfahren erhalten. Wählen zukünftige Studierende also auch auf Basis des Feedbacks aus einem oder mehreren OSA bewusster ihr Studienfach und sind besser informiert über die Anforderungen, so sollten folgerichtig weniger Studierende aus enttäuschten Erwartungen heraus schon kurz nach Studienbeginn ihr Studium abbrechen. Im Idealfall würden nämlich Fehlerwartungen während der OSA-Nutzung aufgedeckt, sodass OSA-Nutzerinnen und -Nutzer bereits vor der Bewerbung eine realistische Vorstellung vom Studium haben, ergo selten enttäuscht sein dürfen. Geringe Abbruchquoten wiederum sind für Hochschulen wünschenswert. Dass OSA bei der Zielgruppe gut ankommen, zeigen Evaluationsstudien, in denen die Akzeptanz bei den Studieninteressierten untersucht wurde (Ott, Ulfert & Kersting, 2017; Petri & Kersting, 2022b).

Darüber hinaus kann das OSA-Angebot, wenn es von vielen Studieninteressierten genutzt wird, auch dazu beitragen, dass die sogenannte Grundquote unter den Bewerberinnen und Bewerbern steigt. Das bedeutet, dass der Anteil der tatsächlich geeigneten Personen innerhalb der Gruppe der Bewerberinnen und Bewerber steigt (Stoll, 2023). Dies resultiert daraus, dass Personen, die wenig geeignet sind für ein bestimmtes Studium, dies im OSA selbst erfahren und ggf. (vorerst) von einer Bewerbung absehen.

Was können OSA noch leisten?

Zuletzt bleibt zu sagen, dass OSA noch viel mehr können. Keinesfalls ist die Idee eines niederschwelligen Online-Angebots nur für Studieninteressierte passend. Sinnvoll einsetzen kann man das Konzept OSA auch für Studieneinsteigerinnen und -einsteiger (1. und 2. Semester). Bekannt ist, dass die meisten Studienabbrüche in den ersten beiden Semestern verzeichnet werden (Heublein et al., 2017; Heublein, Richter & Schmelzer, 2020). Die Studierenden im ersten Studienjahr müssen sich in der neuen akademischen Umwelt zurechtfinden und sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert: den eigenen Stundenplan zusammenstellen, Prüfungsvorbereitungen organisieren, eigenverantwortlich das Semester über lernen und Deadlines im Blick halten, soziale Kontakte knüpfen, im neuen Wohnort „ankommen“ und vieles mehr. Da kann es vorkommen, dass grundsätzlich für das jeweilige Studium geeignete Personen an der einen oder anderen Stelle ein bisschen Unterstützung gebrauchen können (Petri, 2021). Problem ist nur: Eben gerade in dieser Einstiegsphase weiß man oft noch gar nicht, was es alles an tollen Unterstützungsangeboten gibt und wo man sie findet. Und manchmal merkt man vielleicht selbst anfangs gar nicht, wo „das Problem“ liegt und was hilfreich sein könnte.

An diesem Punkt kommen OSA ins Spiel: Wie an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) pilotiert, kann ein OSA für Studieneinsteigerinnen und -einsteiger ein niederschwelliges (online und anonymes) Angebot sein, um sich selbst und den eigenen Studienstart zu reflektieren (Petri & Kersting, 2022a). Mit verschiedenen Fragebogeninstrumenten wurde an der JLU ein sehr breites Themenspektrum von sozialer Integration und Stressempfinden über Lernorganisation, wissenschaftliches Arbeiten und Fremdsprachenkenntnisse abgedeckt. Im Sinne kurzer Screenings konnte man frei wählen, welches Thema man bearbeiten möchte (unter 10 min Bearbeitungszeit pro Thema) und erhielt direkt Feedback, ob man gemäß den eigenen Angaben im Vergleich zu anderen Studierenden „auffällige“ Werte erzielte, die darauf hindeuten könnten, dass man Unterstützungsbedarf hat. War dies der Fall, wurden individuell zu den Angaben und zum Thema passende konkrete Unterstützungsangebote ausgewiesen.

Fazit: OSA als nützliches Tool auf dem Weg zu einer informierten Studienwahl

OSA sind sowohl für Studieninteressierte als auch für Hochschulen ein attraktives Konzept: Studieninteressierte können niederschwellig dabei unterstützt werden, eine informierte Studienwahl zu treffen. Hochschulen wiederum können mit Hilfe von OSA ihre Beratungslandschaft erweitern und mittelfristig zu einer Erhöhung der Grundquote unter den Bewerbenden sowie langfristig zur Reduktion der Abbruchquoten beitragen.

Welche eigenen Erfahrungen zum Thema Studienwahl und ggf. sogar in Bezug auf OSA-Nutzung haben Sie? Nutzen Sie die Kommentarfunktion, um mitzudiskutieren!


Literatur

Heublein, U., Ebert, J., Hutzsch, C., Isleib, S., König, R., Richter, J. et al. (2017). Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit. Ursachen des Studienabbruchs, beruflicher Verbleib der Studienabbrecherinnen und Studienabbrecher und Entwicklung der Studienabbruchquote an deutschen Hochschulen. Hannover: DZHW.

Heublein, U., Richter, J. & Schmelzer, R. (2020). Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland. https://doi.org/10.34878/2020.03.DZHW_BRIEF

Hochschulrektorenkonferenz. (2021). Statistische Daten zu Studienangeboten an Hochschulen in Deutschland – Studiengänge, Studierende, Absolventinnen und Absolventen. Wintersemester 2021/2022. Berlin.

Nye, C. D., Su, R., Rounds, J. & Drasgow, F. (2017). Interest congruence and performance: Revisiting recent meta-analytic findings. Journal of Vocational Behavior, 98, 138–151. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2016.11.002

Petri, P. S. (2021). Neue Erkenntnisse zu Studienerfolg und Studienabbruch. Einblicke in die Studieneingangsphase (Hochschulwesen, Bd. 42, 1. Auflage). Bielefeld: UVW Universitäts Verlag Webler.

Petri, P. S. & Kersting, M. (2022a). OSA für Studieneinsteiger*innen – Überblick zum (neuen) förderdiagnostischen Konzept der JLU Gießen inklusive einer Checkliste zur praktischen Umsetzung. https://doi.org/10.5281/zenodo.7110566

Petri, P. S. & Kersting, M. (2022b). Wer nutzt und wem nutzen OSA? Manuskript eingereicht zur Publikation.

Petri, P. S., Schütte, N. & Beauducel, A. (2022). Mit OSA erfasste Personenmerkmale und deren Interaktion mit OSA-Rückmeldungen und Informationselementen. In G. Stoll & S. Weis (Hrsg.), Online-Self-Assessments zur Studienfachwahl. Entwicklung – Konzepte – Qualitätsstandards. Berlin: Springer.

Stoll, G. (2013). Entwicklung und Validierung eines Interessentests zur Berufs- und Studienfachwahl. Dissertation. Saarbrücken.

Stoll, G. (2023). Anregung zur Selbstselektion und Steigerung der Grundquote – Welchen Beitrag leisten Online Self-Assessments im Kontext der Studierendenauswahl? Manuskript eingereicht zur Publikation.Zimmerhofer, A. (2008). Studienberatung auf der Basis psychologischer Tests: Studienfachprofile, Vorhersagevalidität und Akzeptanz. VDM-Verlag Müller.


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Petri, P. S. (2023, 23. März). Wer die Wahl hat, hat die Qual? Wie Online Self-Assessments bei der Studienwahl unterstützen können. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/zhw/20230323.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Pascale Stephanie Petri

Dr. Pascale Stephanie Petri (Psychologin, MSc) hat zum Thema Studienerfolg und Studienabbruch promoviert. Ihre Doktorarbeit wurde im November 2021 mit einem Dissertationspreis der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ausgezeichnet. Von 2016 bis 2021 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Online Self-Assessment „Ready for Justus“, einem Online-Tool für Studieninteressierte, das die Selbstreflektion bezüglich der Studieneignung unterstützen sollte. Seit 2017 unterrichtet sie am Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik im BSc- sowie MSc-Studiengang Psychologie.

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