Lehrkonzepte

Vom Wissen zum Können: Lernziele formulieren

15. August 2024
bausteine

Bei der Formulierung von Lernzielen denken viele an eine Taxonomie von Bloom oder mehr oder minder langweilige Sprachübungen. Dass Lernziele im akademischen Bereich viel mehr umfassen als reines Wissen und wie Sie mit Hilfe ein paar kleiner Kniffe recht schnell und einfach Lernziele formulieren können, zeigt dieser Blogbeitrag.

Lernziele beschreiben, welches Wissen und welche Fähigkeiten Studierende am Ende einer Lehrveranstaltung oder eines Studienprogramms besitzen sollen. Oder anders gesagt: Ziele, auch als intendierte Lernergebnisse bezeichnet, präzisieren die Kompetenzen, die die Studierenden am Ende des Lernprozesses erreicht haben sollen. Diese Kompetenzen zeigen sich darin, wie gut Studierende in der Lage sind, bestimmte Probleme zu lösen (Weinert, 2001). 

Die Lösung von Problemstellungen im akademischen Bereich fordert ein breites Spektrum an Kompetenzen. Diese reichen von der einfachen Zusammenfassung von Theorien bis hin zur erkenntnisbasierten, interdisziplinären und innovativen Problemlösung (Schaper, 2012). Um unterschiedliche Komplexitäts- und Schwierigkeitsgrade darzustellen, werden die angestrebten Kompetenzen hierarchisch in Taxonomien eingeteilt. Je höher das Niveau, desto anspruchsvoller sind die Aufgaben, die auf dieser Stufe bewältigt werden können.

Taxonomien ordnen Lernziele nach ihrer Komplexität

Lernzieltaxonomien sind eng mit dem Namen Benjamin S. Bloom assoziiert. Tatsächlich war er der Erste, der gemeinsam mit Kollegen (Bloom et al., 1956) Lernzieltaxonomien entwickelt hat. Seine ursprüngliche Idee war hierbei recht pragmatisch: Bloom wollte eine Datenbank mit verschiedenen Testaufgaben erstellen, um den Austausch zwischen Universitäten zu erleichtern und damit den Vorbereitungsaufwand für die jährlichen Prüfungen zu reduzieren (Krathwohl, 2002). Diese Datenbank sollte unterschiedliche, in ihrem Schwierigkeitsgrad aber jeweils vergleichbare Aufgaben enthalten. Gemeinsam mit einer Expertengruppe sammelte Bloom mehrere Jahre lang Prüfungsaufgaben und ordnete sie anhand der zugrunde liegenden Komplexität in Taxonomien. Später wurden die von Bloom entworfenen Taxonomien von Mitgliedern seiner Arbeitsgruppe (Anderson & Krathwohl, 2001; Krathwohl, 2002) überarbeitet und um zusätzliche Aspekte erweitert. 

Besonders bekannt und weit verbreitet ist die Taxonomie zu kognitiven Lernzielen (Krathwohl, 2002). Sie umfasst die sechs  Kategorien: (1) Erinnern – (2) Verstehen – (3) Anwenden – (4) Analysieren – (5) Evaluieren – (6) (Er)Schaffen.

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Abbildung 1: Taxonomie kognitiver Lernziele in Anlehnung an Bloom (Krathwohl, 2002).

Jede Kategorie beschreibt eine Kompetenz auf einem bestimmten Kompetenzniveau. Dabei bauen die einzelnen Niveaus aufeinander auf: Die Beherrschung jeder einfacheren Kategorie (z.B. Erinnern) ist Voraussetzung für die Beherrschung der nächst komplexeren Kategorie (z.B. Verstehen).

Lernziele umfassen verschiedene Kompetenzbereiche

Auch wenn der Erwerb kognitiver Kompetenzen im akademischen Umfeld oftmals im Vordergrund steht, sind sie selten alleine ausreichend, um komplexe Problemstellungen zu bewältigen. Von (angehenden) Akademikerinnen und Akademikern wird vielmehr erwartet, dass sie in der Lage sind, Handlungen bei der Problemlösung eigenständig zu kontrollieren und zu reflektieren. Dazu sind metakognitive Kompetenzen unerlässlich. Viele akademische Domänen erfordern auch manuelle oder körperliche Fähigkeiten (wie Untersuchungstechniken, die Bedienung von Geräten, das Beherrschen bestimmter Bewegungsabläufe). Zudem werden komplexe Aufgaben in der Regel nicht von einer einzelnen Person, sondern in Teams gelöst. Die erfolgreiche Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn alle Mitglieder über umfangreiche interpersonelle Kompetenzen zu Kommunikation, Konfliktlösung und Kooperation verfügen. Ein weiterer Aspekt akademischer Kompetenz geht über das reine Lösen von Problemen hinaus: Studierende sind die angehenden Entscheidungsträger von morgen. Der Aufbau affektiver Kompetenzen im Sinne eines verantwortungsbewussten Wertesystems ist daher unerlässlicher Bestandteil jeder akademischen Ausbildung. 

Atkinson (2022) hat in einer Überblicksarbeit gängige Lernzieltaxonomien gesammelt, modifiziert und teilweise ergänzt. Abbildung 2 fasst die einzelnen Kompetenzbereiche und die jeweiligen Stufen im Überblick zusammen.

Kompetenzbereiche mit den unterschiedlichen Stufen nach Atkinson (2022)
Abbildung 2. Kompetenzbereiche mit den unterschiedlichen Stufen nach Atkinson (2022)

Lernziele beschreiben Tätigkeiten

Gemeinsam ist den Taxonomien aller Kompetenzbereiche, dass sie auf jeder Kompetenzstufe Tätigkeiten beschreiben, anhand derer sich eine bestimmte Kompetenz erkennen lässt. Mit zunehmender Kompetenzstufe werden diese Tätigkeiten dabei komplexer und anspruchsvoller. So macht es beispielsweise einen großen Unterschied, ob Studierende

  • den Begriff „Lernmotivation“ definieren können oder
  • wichtige personen- und situationsbezogene Faktoren, die die Lernmotivation beeinflussen, beschreiben können oder 
  • erklären können, wie die Grundbedürfnisse nach Deci & Ryan die Lernmotivation beeinflussen oder
  • in der Lage sind, ein Konzept zu entwickeln, wie sie als Lehrkraft die Lernmotivation von Schülerinnen und Schüler im Unterricht gezielt fördern können.

Auf sprachlicher Ebene bestehen Lernziele daher immer aus mindestens zwei Teilen: (1) einem Verb oder einer Verbalphrase, die beschreibt, was Studierende tun können und (2) einem Substantiv oder einer Substantivgruppe – dem Fachinhalt (Krathwohl, 2002). 

Zur Verdeutlichung sind in den folgenden Beispielen sind die Verbalphrasen mit blau und die Substantive mit orange gekennzeichnet:

Am Ende des Moduls sind Studierende in der Lage

… Vorschläge zur Lösung komplexer Energiemanagementprobleme zu generieren

… Richtlinien zur verbesserten Qualitätskontrolle von Produktionsprozessen zu modifizieren.

Reaktionen als exotherm und endotherm zu klassifizieren

.… Kriterien aufzulisten, die bei der Behandlung von Tuberkulosepantienten berücksichtigt werden sollen.

Lernziele in der Praxis

Es existieren verschiedene Listen von Verben, die ein hilfreiches Instrument sind, um Kompetenzen auf unterschiedlichen Niveaustufen zu beschreiben. Besonders umfangreich ist dabei die Verbenliste nach Atkinson (2022). Sie enthält zahlreiche Verben für alle in Abbildung 2 dargestellten Kompetenzbereiche.

In der Praxis haben sich zur Formulierung von Lernzielen folgende Vorgehensweisen bewährt:

(1) Lernziele werden aus Sicht der Studierenden formuliert und beschreiben, was Studierende nach Abschluss einer Lerneinheit (einer Veranstaltung, eines Moduls bzw. des Studiengangs) können. Lernziele werden daher durch einen Satz eingeleitet wie „Nach erfolgreicher Beendigung dieses Moduls sind die Studierenden in der Lage …“. 

(2) Lernziele müssen auch überprüfbar sein. Vermeiden Sie daher vage Zielformulierungen wie “verstehen” oder “einen Überblick haben”. Woran würden Sie erkennen, dass Ihre Studierenden etwas verstanden haben? Oder über ein bestimmtes Themengebiet einen Überblick haben?

(3) Denken Sie daran, dass Kompetenzen nicht nur kognitive Ziele umfassen. Formulieren Sie daher auch Ziele aus anderen Kompetenzbereichen (s. Abbildung 2).

(4) Lernziele sind selten abschließend und umfassend. Vielmehr beschreiben sie den minimal akzeptablen Standard, der ausreicht, damit Studierende eine Lerneinheit bestehen können. 

(5) Lernziele müssen realistisch sein, d.h. sie müssen mit den verfügbaren Ressourcen und in dem vorhandenen Zeitrahmen erreicht werden können. 

(6) Lernziele fokussieren die wichtigsten Kompetenzen, die erworben werden sollen. Deshalb ist es sinnvoller, eine kleine Anzahl relevanter anstelle einer großen Anzahl oberflächlicher Lernergebnisse aufzuführen.

(7) Mit zunehmendem Studienfortschritt müssen auch die Lernziele komplexer werden. Lernziele auf Master-Niveau sind in der Taxonomie höher angesiedelt als Lernziele auf Bachelor-Niveau.

Präzise definierte Lernziele erleichtern den Lehr-Lernprozess für Lehrende und Studierende:
Aus Perspektive der Studierenden erhöhen klar formulierte Lernziele die Transparenz und Sinnhaftigkeit des Lernprozesses. Indem angestrebte Lernergebnisse den Studierenden aufzeigen, wozu sie ein Lernprozess (d. h. eine Veranstaltung, ein Modul oder ein Studiengang) befähigt, wirken sie motivierend. Gleichzeitig leiten Lernziele den Lernprozess und ermöglichen den Studierenden eigenständig zu reflektieren, ob und in welchem Umfang sie das Ziel einer Veranstaltung oder eines Moduls bereits erreicht haben. Der Blogbeitrag zum Thema Drei Vorteile der Kommunikation von Lernzielen im Seminar zeigt, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann.
Aus Sicht der Lehrenden erleichtern Lernziele die kohärente Abstimmung von  Lehre und Prüfungen. Wie dies gelingen kann, wird ausführlicher in einem der kommenden Beiträge erläutert.


Literatur

Anderson, L. W. & Krathwohl, D. R., et al. (2001). A taxonomy for learning, teaching and assessing: A revision of Bloom’s taxonomy of educational objectives. Longman.

Atkinson, S.P. (2022). Writing Good Learning Outcomes and Objectives. Sijen Education.

Bloom, B. S., Engelhart, M. D., Furst, E. J., Hill, W. H., & Krathwohl, D. R. (1956). Taxonomy of educational objectives: The classification of educational goals. Handbook 1: Cognitive domain. David McKay.

Green, G. (2023, January 4). The Terrible Tedium of ‘Learning Outcomes’. The Chronicle of Higher Education. https://www.chronicle.com/article/the-terrible-tedium-of-learning-outcomes

Krathwohl, D. (2002). A Revision of Bloom’s Taxonomy: An Overview. Theory into Practice, 41(4), 212 – 218.

Schaper, N. (2012). Fachgutachten zur Kompetenzorientierung in Studium und Lehre. HRK Nexus. https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Downloads/07-02-Publikationen/fachgutachten_kompetenzorientierung.pdf 

Weinert, F. E. (2001). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessung in Schulen (2. Aufl., S. 17-31). Beltz.


Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Hawelka, B. (2024, 15. August).  Vom Wissen zum Können: Lernziele formulieren. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20240815.DE

Unsere Autoren stellen sich vor:

Birgit Hawelka

Dr. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. In Forschung und Lehre beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern Lehrqualität und Evaluation. Ansonsten verfolgt sie neugierig alle Entwicklungen und Erkenntnisse rund um das Thema Hochschullehre.

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