Versuchen wir uns selbst etwas beizubringen – wie das Backen einer Torte – nutzen wir oft Schritt-für-Schritt Anleitungen. Entweder als Rezept aus einem Buch oder aber durch Videotutorials. So erfahren wir, wie die einzelnen Zutaten zu welchem Zeitpunkt verarbeitet werden müssen. Solche Lösungsbeispiele helfen nicht nur im Alltag, auch in der Hochschule können Studierende profitieren.
Worked Examples (zu deutsch: ausgearbeitete Lösungsbeispiele) bestehen in der Regel aus einer Problemformulierung, den Lösungsschritten und der endgültigen Lösung (Renkl, 2022). Konkret bedeutet dies, dass im ersten Schritt die Lernenden die benötigten Definitionen und Erklärungen zu neuen Sachverhalten, Prinzipien oder Konzepten erhalten. Im zweiten Schritt werden – im besten Fall – mehrere Lösungsbeispiele (mit Problemstellung und Lösung) dargeboten. Zentral dabei ist, dass diese beiden Schritte erfolgen, bevor Lernende schließlich versuchen, eigene Lösungen zu entwickeln (Roelle et al., 2023).
Wem helfen Worked Examples und wem nicht?
Besonders geeignet ist diese Methode beim anfänglichen Erwerb von kognitiven Fähigkeiten (Renkl, 2022), Dozierende sollten daher Worked Examples zur Einführung eines Prinzips oder einer neuen Regel nutzen. Die Darbietung von Schritt-für-Schritt-Lösungen hilft, dass die Studierenden kognitiv entlastet werden. Sie können die Informationen in der Regel besser aufnehmen, verarbeiten und verstehen als ohne Worked Examples. Die theoretische Grundlage dieser Annahme ist die Cognitive Load Theory.
Doch nicht alle Studierenden profitieren durch Worked Examples gleichermaßen. Der Nutzen von Lösungsbeispielen hängt demnach vom Wissens- und Könnensstand der Lernenden ab, der positive Effekt bleibt bei fortgeschrittenen Lernenden aus. Scheiter et al. (2020) erklären diesen Expertise-Reversal-Effekt dadurch, dass die dargebotenen Hilfestellungen redundant sind und dies zu Lernhemmnissen führt. Außerdem kann die Darbietung der Unterstützungsmaßnahmen bei fortgeschrittenen Lernenden dazu führen, dass diese die Informationen nur sehr oberflächlich verarbeiten. Das wiederum hat eine schlechtere Lernleistung zur Folge.
4 Tipps zum Gestalten von Worked Examples
Bei der Entwicklung und beim Einsatz von Lösungsbeispielen sollten Sie einige Gestaltungsprinzipien beachten, sonst droht deren Wirkung zu verpuffen.
- Bieten Sie mehrere Worked Examples dar: Studierende sollten eine Auswahl an Worked Examples erhalten. Dabei sollten bei diesen die zentralen gemeinsamen Aspekte/Strukturen/Prinzipien besonders hervorgehoben werden. Dies hilft dem Lernenden jedoch nur, wenn die Lösungsbeispiele aktiv verglichen werden (Roelle et al., 2023; Renkl, 2022).
- Bauen Sie typische Fehler bei den Worked Examples ein: Es zeigte sich in verschiedenen Studien, dass das Elaborieren von richtigen und falschen Lösungen effektiver ist als nur von korrekten Lösungen. Diese müssen jedoch kenntlich gemacht und erklärt werden, insbesondere bei wenig Vorwissen (Roelle et al., 2022).
- Schleichen Sie Lösungsbeispiele aus: Um einen Übergang zum selbstständigen Lernen zu ermöglichen, ist es sinnvoll, die Unterstützung durch Worked Examples auszuschleichen. Möglich ist dies zum Beispiel durch das Angeben weniger Lösungsschritte. Die Lernenden müssen die restlichen Schritte selbstständig durchführen. Der letzte Schritt ist die selbstständige Lösung von Problemstellungen (Roelle et al., 2023).
- Bei einer grafischen Darstellung von Lösungsbeispielen sollten Sie natürlich gängige Gestaltungsprinzipien für Lernmedien beachten.
Zwei Beispiele aus der Praxis
Oft finden sich in der Literatur Worked Examples aus der Mathematik und Chemie (Kölbach et al., 2015; Scherrmann, 2015). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Methode für Studierende in anderen Fachbereichen ungeeignet ist. So können zum Beispiel auch Gedichtanalysen oder aber der Umgang mit wissenschaftlichen Texten gezeigt werden.
Dozierende können Worked Examples nicht nur in schriftlicher oder mündlicher Form darbieten, sondern auch Podcasts oder Videos nutzen. Insbesondere Videos bieten die Chance, Sachverhalte sehr gut zu visualisieren.
1. Rechtswissenschaft
Das erste ausgearbeitete Lösungsbeispiel erstellte Jana Simmel mit Hilfe von Explain Everything. Studierende konnten sich in der Vorlesung „Verwaltungsrecht I“ von Prof. Alexander Tischbirek mehrere Beispiele zur Prüfung einer Klage anhand eines konkreten Falles (Sachverhaltsanalyse, Entscheidungskompetenz des Gerichts und Zulässigkeit sowie Begründetheit) ansehen. Die Worked Examples helfen, dass die Studierenden lernen, Fälle in der Rechtswissenschaft (speziell Verwaltungsrecht) adäquat zu bearbeiten und zu beurteilen.
2. Biologie
Das zweite ausgearbeitete Lösungsbeispiel wurde von Philip Lechner im Rahmen der Lehrveranstaltung “Physik für Biologen und Biochemiker” von Prof. Remco Sprangers entwickelt. Viele Biologiestudierende haben Probleme, die behandelten physikalischen Prinzipien zu verstehen und entsprechende Aufgaben korrekt zu lösen. Das Worked Example hilft hier, die entsprechenden Übungen besser und einfacher zu bearbeiten.
Erfahrungen aus dem Projekt SelVi@ur
Im Projekt SelVi@ur (Selbstlernphasen bei Vorlesungen virtuell und interaktiv begleiten) erstellten Mitarbeitende aus verschiedenen Fachbereichen Lösungsbeispiele und befragten insgesamt 71 Studierende nach ihren Erfahrungen und dem Nutzungsverhalten. Die Rückmeldung bezüglich der Lösungsbeispiele war sehr positiv, die Beispiele trugen zu einem tieferen Verständnis in den jeweiligen Themengebieten bei. Hierbei nannten die Befragten insbesondere die schrittweise Erklärung in den Videos als hilfreich für den eigenen Lernprozess. Außerdem nutzten die Studierenden zum großen Teil die Lösungsbeispiele, um eigene Zusammenfassungen oder Notizen zu erstellen. Einige Studierende arbeiteten mit den Videos zur Prüfungsvorbereitung und wünschten sich auch in anderen Veranstaltungen vergleichbare Angebote.
Auch die Dozierenden bewerteten die eingesetzten Lösungsbeispiele als sehr positiv. Aus ihrer Sicht konnten mit den Videos auch komplexe Themen verständlich dargestellt werden. Besonders schätzten die Dozierenden die Lösungsbeispiele als Zusatzmaterial zur Klausurvorbereitung. Die beteiligten Dozierenden werden daher die ausgearbeiteten Lösungsbeispiele auch in zukünftigen Lehrveranstaltungen beibehalten und künftig noch mehr Videos zu verschiedenen Themen produzieren.
Fazit
Worked Examples sind lernwirksam und helfen vor allem Studierenden mit wenig Vorwissen. Für Dozierende lohnt es sich zu überlegen, inwieweit bei wichtigen Regeln, Prinzipien oder Fällen eine Darbietung von Lösungsbeispielen möglich ist. Die Ausarbeitung ist zwar zeitaufwändig, der Aufwand lohnt aber: Dozierende können einmal produzierte Beispiele für einen längeren Zeitraum wiederholt in Lehrveranstaltungen nutzen.
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Das Projekt “Selbstlernphasen bei Vorlesungen virtuell und interaktiv begleiten (SelVi@ur)” wird gefördert durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre.
Literatur
Kölbach, E., Maier-Richter, A. & Sumfleth, E. (2015). Lösungsbeispiele – Eine besondere Form von Lernaufgaben zur Unterstützung individuellen Lernens in den Naturwissenschaften. CHEMKON, 22(1), 7–14.
Renkl, A. (2022). The worked example principle in multimedia learning. In R. E. Mayer & L. Fiorella (Hrsg.), The Cambridge handbook of multimedia learning (3. Aufl., S. 231–240). Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108894333
Roelle, J., Lachner, A. & Heitmann, S. (2023). Lernen aus Lösungsbeispielen. In H. M. Buhl & K. B. Klingsiek (Hrsg.), Lernen. Theorien und Techniken (S. 115–124). utb. https://doi.org/10.36198/9783838558981
Scheiter, K., Richter, J. & Renkl. A. (2020). Multimediales Lernen: Lehren und Lernen mit Texten und Bildern. In H. Niegemann & A. Weinberger (Hrsg.), Handbuch Bildungstechnologie. Konzeption und Einsatz digitaler Lernumgebungen (S. 31–56). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54368-9
Scherrmann, A. (2015). Lernen mit Lösungsbeispielen im Mathematikunterricht. Eine empirische Untersuchung zur Datenauswertung im Unterricht [Dissertation, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg]. Springer Spektrum. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11807-5
Vorschlag zur Zitation des Blogbeitrags: Puppe, L. (2023, 12. Oktober). Inspiration statt Frustration: Mit Worked Examples den Lernerfolg Studierender steigern. Lehrblick – ZHW Uni Regensburg. https://doi.org/10.5283/ZHW.20231012.DE
Linda Puppe
Dr. Linda Puppe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsdidaktik an der Universität Regensburg. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern innovative Lehre und Motivation. Zudem interessiert sie sich für Entwicklungen im Bereich digitale Lernumgebungen.
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